Moers Geglücktes "Karnevals-Experiment"

Moers · Bei Hedda vs Dead Inc. des STM wusste gen Ende sowohl im Publikum als auch auf der Bühne niemand mehr, was denn gerade geprobt wurde - geplantes Chaos, das auch außerhalb der jecken Saison seine Berechtigung hat.

 Hedda vs. Dead Inc. Ein Worst-Case-Szenario in Echtzeitregie, Schlosstheater

Hedda vs. Dead Inc. Ein Worst-Case-Szenario in Echtzeitregie, Schlosstheater

Foto: Klaus Dieker

Wirr, witzig und lustvoll chaotisch, so haben die Zuschauer das Ensemble des Moerser Schlosstheaters wahrscheinlich noch nie erlebt. Eigentlich wollte man seinem Publikum am Freitagabend eine offene Probe des bekannten Henrik-Ibsen-Stückes "Hedda Gabler" präsentieren, doch dann lief alles ganz anders als geplant. Natürlich mit Absicht. Unter dem Titel "Ein Karneval-Experiment" hatten sich die Schauspielerinnen und Schauspieler für diesen Abend ein so genanntes "Worst-Case-Szenario in Echtzeitregie" einfallen lassen, bei dem wirklich alles drunter und drüber ging. Dabei herrschte am Anfang zunächst noch höchste Konzentration. Während Matthias Heße, Marissa Möller und Lena Entezami an der linken Bühnenwand mit Zungenübungen beschäftigt waren, entspannte sich ihnen gegenüber Magdalene Artelt mit hängendem Oberkörper auf ihre Rolle als Ibsens Hauptfigur Hedda Gabler vor und ließ sich dabei auch nicht von einem ständig über die Bühne wuselnden Kameramann des Duisburger Stadtfernsehens Studio 47 und seiner Mikrofonträgerin ablenken. Dann erklang plötzlich Ulrich Grebs Regiestimme über den Lautsprecher: "Und jetzt Aufmerksamkeit bitte!" Kaum eine Sekunde später stürzte darauf hin Frank Wickermann als Pfarrer mit einer Urne auf die Bühne und stellte sich in Positur. "Du bist im falschen Stück. Wir proben jetzt Hedda Gabler", wurde er von der zu diesem Zeitpunkt noch ziemlich geduldigen Regiestimme informiert. "Ach so", sah der Pfarrer sich etwas verwirrt um und verschwand wieder, nicht ohne vorher die Urne fallen zu lassen. Doch dann konnte es endlich damit losgehen, dass Matthias Heße als Hedda Gablers soeben frisch angetrauter Gatte Jorgen Tesman mit rot lackierten Fingernägeln den seitlich im Zuschauerraum angebrachten Kaffeeautomaten bediente und anschließend seine Gattin mit einer wilden Kussorgie überfiel. Es sollte nicht die einzige wilde Sex-Szene bleiben, denn wenig später fiel die inzwischen gewaltig fett gewordene Hedda selber nicht minder leidenschaftlich über ihren von Patrick Dollas dargestellten vorherigen Liebhaber Ejlert Lovborg her. Die ebenfalls zu dem Stück gehörige Thea Elvsted erschien dagegen gleich im Doppelpack. Da Marissa Möller diese Rolle in Zukunft nicht mehr spielen würde, stand ihr an diesem Abend als Nachfolgerin Lena Entezami wie ein Echo zur Seite, was den jeweiligen Szenen nicht gerade die ursprünglich gewünschte Dramatik verlieh. Auch Frank Wickermanns erneuter Fehlauftritt -diesmal in einem prallgefüllten weiblichen Mieder - trug eher zur Belustigung als zur Tragik des Stückes bei. Als dann am Ende auch noch ein grell geschminkter Matthias Heße in rotem Minirock und schwarzer Langhaarperücke, und Lena Entezami als Schwert schwingender Nibelungen-Siegfried ins Geschehen eingriffen, wusste sowohl im Publikum als auch auf der Bühne schließlich niemand mehr, welche Probe denn hier überhaupt stattfand. Ein wahrhaft geglücktes "Karneval-Experiment", das sich auch außerhalb der jecken Session ruhig häufiger mal wiederholen darf.

Für alle, die die Schlosstheater-Inszenierung von Henrik Ibsens "Hedda Gabler" noch nicht gesehen haben: Die beiden letzten Aufführungen finden am 13. April um 19.30 Uhr und am 15. April um 18.00 Uhr im Schlosstheater statt.

(lang)
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