Moers Immer öfter Gewalt gegen Rettungskräfte

Moers · Wenn Helfer zu Opfern werden: Regelmäßig erleiden Einsatzkräfte von Polizei, Rettungsdienst und Feuerwehr selbst Gewalt. Auch in der Region ist die Lage ernüchternd.

 Für Heiko Hennig gehören Grenzüberschreitungen zum Alltag.

Für Heiko Hennig gehören Grenzüberschreitungen zum Alltag.

Foto: Marc Latsch

Vier bis fünf Mal sei er schon in wirklich bedrohliche Situationen geraten, sagt Heiko Hennig im Gespräch mit unserer Redaktion. Dabei ist es Hennigs Aufgabe, anderen zu helfen. Der Moerser ist Rettungsassistent und das seit gerade einmal fünf Jahren. Was der 24-Jährige in dieser Zeit schon alles erlebt hat, steht symptomatisch für die Probleme einer ganzen Berufsgruppe.

"Einmal wurden wir in eine Wohnung gerufen, in der der Vater gerade verstorben war", berichtet Hennig. "Jede Hilfe war zwecklos. Doch die Söhne bauten sich zu dritt vor meinem Kollegen und mir auf, einer von ihnen mit einem Baseballschläger in der Hand. Die Aussage war klar: Entweder wir sorgen dafür, dass ihr Vater weiterlebt oder sie regeln das anders." Die beiden verständigen die Polizei. Bis zur Rettung liefern sie den Anwesenden eine "Show-Wiederbelebung fürs Auge", wie Hennig sagt.

 Josef Wißen.

Josef Wißen.

Foto: armin Fischer

"Die Hemmschwelle ist in den vergangenen fünf bis sieben Jahren gesunken", sagt Christian Heekeren, Wachabteilungsleiter der Moerser Feuerwehr. "Gerade zu späterer Stunde am Wochenende, wenn Alkohol und Drogen im Spiel sind, mehren sich die Vorkommnisse. Wenn die Aufgabe, zu helfen, gestört wird, leidet bei den Kollegen auch schon einmal leicht die Psyche darunter." Die Probleme gelten vor allem für die Kollegen im Rettungsdienst, betont er. Bei der Feuerwehr seien Schaulustige das größere Problem. Dort komme es eher mal zu Beleidigungen, wenn solche Gaffer weggeschickt würden.

Für Hennig gehören Grenzüberschreitungen hingegen zum Alltag: "Verbal werden wir regelmäßig angegangen", berichtet er. Er wurde beim Einsatz schon mit Steinen beworfen. An Silvester machen sich Passanten zudem einen Spaß daraus, offene Fenster des Rettungswagens mit Raketen zu beschießen. Probleme treten klassischerweise bei alkoholisierten Personen auf. "Hier kommt es vermehrt zu Beleidigungen und aggressivem Verhalten", sagt er. Auch sein Eindruck ist: Es wird immer schlimmer.

Eine aktuelle Studie des Kriminologen Thomas Feltes von der Ruhr-Universität Bochum unterstützt diese Wahrnehmung nur zum Teil. 4500 Brandschützer, Santitäter und Notärzte wurden nach erlittener Gewalt befragt, 812 von ihnen antworteten. 64 Prozent der Antwortenden gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten Opfer von Gewalt geworden zu sein. Die meisten erlebten Beschimpfungen oder aggressive Gesten, 13 Prozent erlitten körperliche Gewalt. Insgesamt bietet die Studie kein Anzeichen für vermehrte Attacken auf zivile Einsatzkräfte, die körperliche Gewalt sei jedoch tendenziell brutaler als früher.

Es sind aber jene Extremfälle, die das Bild in der Öffentlichkeit nachhaltig prägen. Im September 2016 sind fünf Moerser Feuerwehrleute auf dem Rückweg von einem Einsatz, als sie einen Lkw-Fahrer über die Straße torkeln sehen. Auf eine erste Ansprache reagiert der Mann aggressiv, richtet eine Waffe auf die Helfer. Erst ein Spezialeinsatzkommando der Polizei kann den Mann schließlich überwältigen. Die Waffe des sturzbetrunkenen Fahrers war lediglich mit Pfefferspray gefüllt, die Todesangst der Feuerwehrleute jedoch real.

Auch Polizisten sind von der Problematik betroffen. Der 55-jährige Josef Wißen ist Hauptkommissar bei der Kreispolizeibehörde Wesel und blickt auf 39 Jahre Berufserfahrung zurück. Er berichtet, dass die Zahl der tätlichen Übergriffe auf Polizeibeamte in den letzten Jahren gestiegen sei. "Allein im Kreis Wesel gab es 2016 mehr als 100 Widerstandshandlungen, bei denen Polizisten verletzt wurden", sagt Wißen. Es sei besonders eine Veränderung im Respekt gegenüber Polizeibeamten bemerkbar. Wurde man früher noch freundlich gegrüßt, würden mittlerweile Nichtigkeiten zu gewalttätigen Handlungen eskalieren.

Auch er selbst musste Erfahrungen mit derartigen Übergriffen machen. Ende der 1980er Jahre wurde der Polizeihauptkommissar bei einem Eishockeyspiel in Wesel schwer an der Hand verletzt. "Einer hat von der Zuschauerbühne uriniert. Da haben wir ihn natürlich da runtergeholt. Im Vorraum hat sich dann ein Tumult von Fans entwickelt", erinnert sich Wißen. Der Versuch, sich vor den Schlägen des Täters zu schützen, endete mit einem Bruch in der rechten Hand und sechs Wochen Dienstbefreiung. Viel schlimmer als die körperlichen Schäden, seien jedoch die seelischen Belastungen. Besonders für junge Kollegen seien solche Erlebnisse einschneidend.

Die Folgen bei vielen: Angst- und Panikprobleme. Selbst ältere, erfahrene Kollegen seien davon nicht ausgeschlossen. Auch Wißen sei nach dem Vorfall vorsichtiger geworden und mit mehr Respekt in manche Einsätze gegangen. Seit zweieinhalb Jahren ist er nun für das behördliche Gesundheitsmanagement tätig, das Kollegen bei der Verarbeitung ähnlicher Erfahrungen hilft. Ihm ist es jedoch wichtig, herauszustellen, dass die Bürger im Allgemeinen keine Gegner für die Polizei sind. Es gäbe lediglich Ausnahmen, die Sorgen bereiten. Für Wißen steht fest: "Die positiven Dinge überwiegen. Ich bin immer noch gerne Polizist. Auch wenn dem "Freund und Helfer" heutzutage seltener gedankt wird."

(RP)
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