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Moers Kirchenaustritt: "Nicht nur das liebe Geld"

Moers · Im Jahr 2014 haben auch in der Grafschaft deutlich mehr Menschen den Kirchen den Rücken gekehrt als in den Jahren zuvor. Eine neue steuerliche Regelung wird als Ursache vermutet. Doch nicht alle Geistliche teilen diese Meinung.

Die christlichen Kirchen in Deutschland verlieren seit Jahren stetig Mitglieder. Das ist nicht neu. Doch im vergangenen Jahr sind die Zahlen der Austritte in katholischen und protestantischen Gemeinden auffällig gestiegen. Auch in der Grafschaft ist dieses Phänomen zu beobachten. Der Kirchenkreis Moers verzeichnete im Jahr 2012 eine Zahl von 476 Austritten, 2013 waren es 596. 2014 ist die Zahl jedoch auf 934 hochgeschnellt. Die Zahl der Gläubigen im Kirchenkreis ist dadurch unter die Marke von 100 000 gefallen.

Ähnliche Entwicklungen gibt es bei den Katholiken, beispielsweise in Kamp-Lintfort. Verließ dort im Jahr 2012 eine Zahl von 49 Menschen die Pfarreien, waren es im Jahr darauf 60 Personen, im Jahr 2014 jedoch 132, also eine Steigerung um mehr als das Doppelte.

Was hat diesen Effekt ausgelöst? Der Moerser Superintendent Ferdinand Isigkeit hatte sich bereits bei einer Synode im November 2014 über das Anschwellen der Austrittsgesuche geäußert: "Der Anstieg an Austritten aus der Evangelischen Kirche wird vielfach mit der Kirchensteuer auf Kapitalerträge in Verbindung gebracht. Anscheinend ist nicht jedem Kirchenmitglied klar gewesen, dass es sich hierbei nicht um eine neue Kirchensteuer handelt, sondern lediglich um eine bestehende Steuerpflicht, die mit einem automatisierten Einzugsverfahren verbunden wurde." Allerdings zweifelt Isigkeit daran, ob es wirklich nur um Steuern geht: "Möglicherweise haben Kirchenmitglieder die Konfrontation mit dieser Facette der Kirchensteuer lediglich zum Anlass genommen, einen lange geplanten Schritt, nämlich den Kirchenaustritt, zu vollziehen, weil die Kirche, vielleicht sogar der Glaube, in ihrem Leben längst keine Rolle mehr spielen. Ich halte das für wesentlich beunruhigender, als den aus Ärger über Kirchensteuern vollzogenen Kirchenaustritt."

In den katholischen Gemeinden in Moers gab es im vergangenen Jahr 336 Austritte (2013: 242). Auch Peter Bossmann, Pfarrer der Kirchengemeinde St. Martinus in Moers, hält wenig von der Theorie, dass es sich bei jene, die die Kirche verlassen, nur um Steuerflüchtlinge handle. "Es geht nicht nur um das liebe Geld", sagt der Geistliche. Er hält Kirchenaustritte für "Signale, dass Menschen mit vielen Dingen in der Kirche nicht einverstanden sind." Zwar sei Papst Franziskus beliebt, doch moraltheologisch habe sich während des neuen Pontifikates nur wenig bewegt. "Wenn die Kirchenleitung dann sagt, die Leute träten wegen der Steuer aus, halte ich das für eine Ausrede."

Nach Bossmanns Erfahrung als Seelsorger verlassen Menschen die Kirche beispielsweise, weil ihnen in einer konkreten Situation nicht geholfen wurde. "Dann hört man Sätze wie ,Wenn man die Kirche braucht, ist sie nicht da'." Tatsache sei allerdings, dass die Kirchengemeinden mit Personal nicht üppig ausgestattet seien. Und auch die viel beschäftigten Pfarrer sind nicht immer greifbar. Nun gibt es aber auch jene, die eines Tages zurückkehren. Die Zahl ist nicht groß, aber die Entscheidung, sich wieder der Kirche zuzuwenden, wird meist gründlicher durchdacht und erwogen als der Austritt. Bossmann: "Wenn man mit Menschen spricht, die wieder eintreten möchten, dann erzählen sie oft ,Ich habe das damals in meiner Jugend gemacht, ohne groß nachzudenken, weil es alle in meiner Umgebung gemacht haben'."

Im Kirchenkreis habe man immer wieder über die hohe Zahl der Austritte gesprochen, berichtet dessen Sprecher, Egbert Schäffer. "Schulgottesdienste und Religionsunterricht reichen nicht aus, um vom Evangelium zu erzählen und kirchlichen Nachwuchs zu gewinnen. Die frühe Sozialisation ist wichtig. Wenn aber Eltern ihre Kinder nicht religiös erziehen, etwa, weil sie ihren Kindern die Entscheidungsfreiheit lassen wollen, ob sie religiös sein wollen oder nicht, entwickeln Kinder nicht so leicht eine kirchliche Bindung [...] Gleichwohl wollen wir für die Menschen unsere Angebote weiter erhalten. Denn vom Seniorennachmittag, durch den Netzwerke der Achtsamkeit in einer sonst anonymen Welt mit Einsamkeit entstehen, bis zur Notfallseelsorge, bei der Menschen, die sonst allein in einer Notsituation wären, gestützt werden, von der Jugendfreizeit bis zur allgemeinen sozialen Beratung, in die jeder kommen kann, dem es schlecht geht - alles das sind wichtige Aufgaben. Die Problematik, über die wir nicht klagen, die wir aber auch nicht verleugnen, sondern angehen: Die Angebote kosten auch Geld."

Übrigens ist der Trend zu vermehrten Austritten nicht in allen Pfarreien vor Ort gleich stark. In den katholischen Gemeinden St. Antonius und St. Quirinus in Neukirchen-Vluyn gab es 2014 nur zwei mehr. Dafür hatte es 2013 einen Sprung von 33 auf 68 Austrittsfälle gegeben. In der Rheurdter Pfarrgemeinde St. Martinus (zu der auch St. Antonius in Kempen-Tönisberg zählt), stieg die Zahl jener, die der Kirche den Rücken kehrten, von 21 Personen im Jahr 2013 auf 35 im Jahr 2014.

(RP)
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