Moers Leben in der Zwergengasse - Glotzer inklusive

Moers · Mal eben aus dem Bett steigen und im Pyjama oder Bademantel einen Kaffee in der Küche trinken - Rüdiger Schink und seine Frau Desi Nur Schink haben es sich abgewöhnt. Zu groß wäre die Gefahr ungebetener Zuschauer. Schinks Küchenfenster geht zur Moerser Zwergengasse hinaus, und deren Attraktion, die Zwergengalerie, liegt direkt neben seinem Haus. Man weiß nie, wann Leute vorbeikommen, um sie zu bewundern. Auch öffentliche Führungen gehen durch die Zwergengasse. Dabei verlagern Passanten gerne ihr Interesse auf den Schinkschen Haushalt. "Manche Leute glotzen ungeniert durchs Fenster", sagt der 47-Jährige.

 Das blaue Haus links gehört Desi Nur und Rüdiger Schink. Das "Zwergenhaus" daneben zieht viele Neugierige an.

Das blaue Haus links gehört Desi Nur und Rüdiger Schink. Das "Zwergenhaus" daneben zieht viele Neugierige an.

Foto: Christoph Reichwein

Seit 2012 führt Schink ein Leben auf dem Präsentierteller. Damals erwarb er das Reihenhaus, dessen Alter er auf 130 Jahre schätzt. "Bei den Immobilienpreisen in Düsseldorf hätte ich mir das nie leisten können." In die Landeshauptstadt war der Moerser 1993 ausgewandert, um Innenarchitektur zu studieren. "Ich dachte, ich komme nie wieder zurück." Das Studium schmiss Schink, er verlegte sich auf den Verkauf von EC-Terminals an Restaurants und Geschäfte und gründete eine eigene Firma, RS Fairpay. Nach 20 Jahren in der Großstadt kehrte der verlorene Sohn dann doch zurück. "Wenn schon Provinz, dann nur die Heimat", sagt er und grinst.

Mit viel Aufwand hat Schink das damals ziemlich heruntergekommene Reihenhaus renoviert, Wände durchbrochen, das Bad vergrößert, die alte Haustür zur Fieselstraße zugemauert. Das heißt: Die Tür ist an Außenseite des Hauses noch da, allerdings nur noch als Kulisse. Würde man sie öffnen, fände man dahinter die Mauer, hinter der das Wohnzimmer liegt. "Ich wollte nicht, dass man direkt im Zimmer steht, wenn man ins Haus kommt." Nun dient der Hinterausgang zur Zwergengasse als Entree. Die Räume sind immer noch eher klein, aber sehr gemütlich. Schink hat sie mit altem Mobiliar geschmackvoll eingerichtet; da spürt man den (wenn auch verkrachten) Innenarchitekten.

Wer im Stadtplan eine "Zwergengasse" sucht, wird nicht fündig. "Sie gehört offiziell zur Fieselstraße", weiß Schink. Es handelt sich um einen schmalen, parallel zur Fieselstraße verlaufenden Gang, der im Mittelalter als Brandgasse angelegt wurde: Fing ein Haus Feuer, was bei den damaligen Strohdächern keine Seltenheit war, konnte von dort aus gelöscht werden. Eigentlich also eine Brandlöschgasse. Zur Zwergengasse mutierte das Nadelöhr im Volksmund, als Anfang des 20. Jahrhunderts ein Anwohner sein Haus mit einem Fries bunter Zwerge versah, von denen jeder für einen Beruf steht. Auch ein paar bunte Geckos zieren das Zwergenhaus. Sie korrespondieren schön mit ähnlichen Tierfiguren an Schinks blauer Hinterhausfassade. "Ich habe sie aus Italien mitgebracht."

Die Chance, ein bezahlbares historisches Gebäude in historischer Umgebung zu bewohnen, war ein starkes Motiv, nach Moers zurückzukommen. "Ich hab immer in alten Häusern gewohnt", sagt der in Hülsdonk aufgewachsene Schink. "Sie haben Flair." Sterile Betonbauten möge er nicht. Inzwischen schätze er nicht nur die Wohnqualität in Moers, sondern auch seine direkte Nachbarschaft, an der er aufgrund der räumlichen Enge in der Zwergengasse wohl sowieso nicht wirklich vorbeikommen könnte. "Es sind alles nette Leute, besser kann man es nicht haben. In Düsseldorf habe ich 20 Jahre lang in einem Altbau gewohnt und die Nachbarn nur vom sehen gekannt."

Bleibt der Ärger mit den Fensterglotzern. Damit geht Schink auf seine Weise um - mit Humor. Am Küchenfenster hat er eine kleine herzförmige Spardose sowie ein Schild platziert: "Liebe Fenstergucker! Sauberkeit und Ordnung in unserer Küche sollten Ihnen einen Euro wert sein!" Das Gassenpublikum werfe tatsächlich ab und zu Münzen ein, weshalb die Spardose auch einige Male gestohlen worden sei. Zur Abschreckung der Langfinger hat Schink deshalb noch eine Kamera und eine Warnung angebracht. Das Ganze sei natürlich ein Scherz, aus einer Bierlaune heraus entstanden. "Ich hab' mit meinem Schwager um einen Kasten Bier gewettet, dass ich damit in die Zeitung komme." Na dann: Herzlichen Glückwunsch und Prost!

(RP)
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