Moers Lesung: Ein Mann hungert Freiheit und Tod entgegen

Moers · Sprache und Wortspiele haben Kowalsky schon immer fasziniert. So belegte sie als Schülerin Leistungskurse in Deutsch und in Englisch, als sie das Kamp-Lintforter Gymnasium besuchte. Schon damals verschlang sie Bücher. Als sie einmal ihren Mann fragte, was er sich zum Geburtstag wünschte, bekam sie zur Antwort: "Von Dir ein Buch." Sie nahm es wörtlich. Sie schrieb ihr erstes Buch "Die Hülle", das sie 2005 über den Druckservice Epubli der Berliner Internetdruckerei Neopubli herstellen ließ. Drei weitere Bücher hat sie seitdem veröffentlicht, alleine "Der Bahnhof", zusammen mit ihrem Vater Albrecht Kowalsky "Er war kein Bergsteiger" und wieder alleine "Hoch hinaus wollte ich". Aus diesem Buch trug sie jetzt im Dorf-Café Friesen vor.

Die Idee zu ihrem jüngsten Werk hatte sie 2008. Damals ging ein spektakulärer Todesfall durch die Medien. Ein Mann aus Hannover war mit seinem Fahrrad in den Wald gefahren, wo er sich auf den Hochstand eines Jägers zurückgezogen hatte, um sich auf seinen Freitod vorzubereiten. Er dokumentierte sein Sterben mit schriftlichen Einträgen in einem Heft.

"Es ist nicht bekannt, wie lange er in dem Hochstand gelebt hat und wann er gestorben ist", sagt die 50-Jährige, deren Hobbys neben dem Reiten und dem Motorradfahren das Schreiben ist.

"Im Februar 2008 ist er gefunden worden. Er hatte 14 Eintragungen gemacht. Sie wurden nicht veröffentlicht."

Die Autorin verwandelte die 14 Notizen in 14 Tagebucheintragungen. Diese umgab sie mit einer Rahmengeschichte. In dieser spricht der Jäger, der den Toten auf dem Hochstand fand, mit seiner Frau. "Sie ähneln den verstorbenen Eltern einer Freundin", sagt Kowalsky. "Manchmal sind sie klischeehaft."

Ferner sprach sie mit einem Freund, der Intensivpfleger ist. Dieser berichtete ihr, was passiert, wenn ein Mensch nur noch Flüssigkeit aufnimmt, aber nichts mehr isst. So kann sie realistisch den Mann beschreiben, beispielsweise wenn er nach einigen Tagen durch Magnesiummangel Krämpfe bekommt. Er hungert sich dem Tod entgegen, den er als Befreiung sieht. "Meine Figuren entwickeln ein Eigenleben", erzählt sie. "Sie driften manchmal ab, und ich weiß gar nicht mehr, was sie machen."

Zunächst wollte sie die Geschichte um Leben und Tod nicht veröffentlichen, um Nachfahren des wirklichen Toten nicht in ihrer Trauer zu verletzen. Irgendwann wurde sie von einer Freundin auf eine Fernsehreportage aufmerksam gemacht, die den spektakulären Todesfall dokumentierte. "Meine Figur hat nichts mit dem wirklichen Mann zu tun", blickt sie auf ihre Person, mit der es das Leben nicht gut gemeint hatte, als er Familie und Arbeit verloren hatte. Der wirkliche Tote war hingegen ein Erfolgsmensch gewesen, der den Freitod gewählt hatte. So veröffentlichte sie Ende 2016 "Hoch hinaus wollte ich". Es war erst ihre zweite Lesung überhaupt.

(got)
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