Moers Musiker treffen sich zum Schlagabtausch

Moers · Das Moers Festival ist in seiner 46. Ausgabe zu seinen Wurzeln zurückgekehrt - ohne altmodisch zu wirken. Der Festivalleiter spannte einen großen Bogen von der Welt- bis zur improvisierten und elektronischen Musik.

 Carolin Pook, Achim Krämer, Achim Zepezauer und Pavel Arakelian trafen sich in der Festivalhalle zur "Discussion".

Carolin Pook, Achim Krämer, Achim Zepezauer und Pavel Arakelian trafen sich in der Festivalhalle zur "Discussion".

Foto: Klaus Dieker

Wenn Musiker miteinander diskutieren, darf sich das Publikum auf einen Schlagabtausch der besonderen Art freuen: energiegeladen, unvorhersehbar und perkussiv. Die beiden Schlagzeuger Carolin Pook und Achim Krämer, Soundkünstler Achim Zepezauer und Saxofonist Pavel Arakelian lieferten sich am Sonntag auf ihren Instrumenten ein mitreißendes Musiker-Gespräch. Es war ein Höhepunkt in der Moerser Festivalhalle. "Discussions" heißt diese neue Reihe im Programm, kuratiert von Thorsten Töpp, und kam bei den 2000 Musikfans hervorragend an. Das war nur eine Neuerung im Programm.

Musik erlebte das Publikum nicht nur frontal. Tim Isfort gelang es, in der großen Konzerthalle eine intime Club-Atmosphäre zu schaffen, indem er sowohl für das deutsch-englische Jazz-Trio Keune, Lash und Noble als auch für die Reihe "Discussions" die Bühne in die Mitte der Zuschauer setzte. So nah war man den Musikern noch nie. Während das Trio Keune, Lash und Noble in der Besetzung Saxofon, Kontrabass und Schlagzeug mit großer Spielfreude den Klang erforschten, geriet die zweite Discussion-Runde zum großen Sprachwirrwarr: Jaap Blonk, David Moss, Catherine Jauniaux sowie Kim José Bode diskutierten dieses Mal auf der großen Bühne die Frage, ob Festivals überhaupt noch zeitgemäß sind - als wilde Sprach- und Stimmakrobaten. Es wurde geträllert, gequietscht und gekreischt. Junge Bands wie das Dub Trio aus New York begeisterten das Publikum mit harten, schnellen und rauen Klängen. Das galt auch für die isländische Band ADHD, zu deren Stücken der Krefelder Videokünstler Malte Jehmlich am Zeichentisch live mit der Kamera kleine Animationen auf die Leinwand beamte. Warmherzig begrüßt wurde Altmeister Anthony Braxton, der mit seinem Zim-Sextett nach Moers gekommen war und die Halle mit begeisterten Zuhörern füllte - trotz der beiden Harfen als Klammer für seine jazzigen Klangwelten. Da kam nicht nur bei Festivalleiter Tim Isfort ein Gänsehaut-Gefühl auf. Die in den USA lebende Saxofonistin Ingrid Laubrock stieg übrigens spontan in Braxtons Sextett ein.

Überraschend war auch der Start des 46. Festivals. Die musikalische Reise begann mit dem Kölner Trio "Il Lusorius", für das die Spieluhr Quelle der Inspiration ist. Es präsentierte mit Projektionen Einblicke in die intime Welt dieses Klangerzeugers, während es über die Tonfolge, die sich immer wiederholt, improvisierte, etwa bei der Schicksalsmelodie. Die belgische Jazzgruppe "De Beren Gieren" faszinierte mit rauer Energie. Diese leiteten Fulco Ottervanger am Piano, Lieven Van Pée am Bass und Simon Segers am Schlagzeug in komplexe Strukturen über, zum Teil mit polyrhythmischen Versatzstücken. Sie erzeugen eine elektroakustische Klanglandschaft. Auf der neuen Mittelbühne spielte Pantra Sein Hla Myaing. Dort, mitten in der Festivalhalle, saß der Virtuose Sein Hla Myang aus Myanmar in seiner Trommelburg, um im Kreis auf 21 diatonisch gestimmte Trommeln und 37 Gongs zu schlagen. Er wurde von zwei Gongspielern und einem Spieler einer birmanischen Oboe begleitet, um die Zuhörer in die Trance mitzunehmen. Wer Jazz und freie Improvisation erwartete, wurde auch mal mit ungewöhnlich eingängigen Melodien überrascht.

Brian Blade stellte sich in Moers mit seinem Projekt "Mama Rosa" als virtuoser Gitarrist und Sänger mit Liedern zwischen Folk, Rock und Pop vor. Dass das Publikum diesem musikalischen Weg folgte, war auch der wunderbaren Stimme von Sängerin Kelly Jones geschuldet. Spannung erzeugten Carolin Pook und Space Pilot, als sie unter dem Motto "Cosmic string time travel" mit elektronischer Musik und Streichquartettmusik auf eine Zeitreise gingen. Sie, "Improviser in Residence" 2016, und ihre Streicher standen im Wechselspiel mit Space Pilot, manchmal psychodelisch und zuweilen tanzbar. Dieses Wechselspiel hielten viele Zuhörer für das energiegeladenste Ereignis der musikalischen Erlebnisreise, bevor der Akkordeonist Yegor Zabelov aus Weißrussland die Nacht beendete. Im Hintergrund lief der chinesische Stummfilmklassiker Shénnu, Göttin, von 1934, in dem eine Prostituierte mit ihrem unehelichen Kind unterwegs ist, um für es und seine goldene Zukunft zu kämpfen.

(RP)
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