Moers Stehende Ovationen für den Artist in Residence

Moers · Colin Stetson liefert am Pfingstsonntag eine emotionale Interpretation von Henryk Góreckis "Klageliedern" ab.

 Colin Stetson war am Freitag im Zusammenspiel mit der Violinistin Sarah Neufeld zu erleben. Der Amerikaner trat an allen vier Tagen in Moers auf.

Colin Stetson war am Freitag im Zusammenspiel mit der Violinistin Sarah Neufeld zu erleben. Der Amerikaner trat an allen vier Tagen in Moers auf.

Foto: Dieker, Klaus (kdi)

Der Saxofonist Colin Stetson war Pfingsten als "Artist in Residence" in Moers und somit täglich mit einem Auftritt im Festivalprogramm vertreten. Der gebürtige US-Amerikaner lebt seit einigen Jahren im kanadischen Montreal und hat neben seinen zahlreichen Soloprojekten mit einer Vielzahl bekannter Musiker zusammengearbeitet. Am Freitagabend stand er mit Violinistin Sarah Neufeld auf der Moerser Festivalbühne. Beide haben erst kürzlich das Album "Never were the way she was" veröffentlicht. Stetson überzeugte sofort mit seinem unverwechselbaren Saxofonspiel.

Der Musiker, der im Wechsel ein Altsaxophon, ein Bariton- und ein schweres Basssaxofon spielte, nutzt eine spezielle Zirkularatmungstechnik, mit deren Hilfe er scheinbar endlose Tonlängen und Notenläufe spielen kann. Zuweilen singt oder schreit er während des Musizierens auch in sein Instrument hinein, wodurch ein ungemein voluminöser und durchdringender Klang entsteht. Im Zusammenspiel mit Sarah Neufeld entstand so ein erstaunlich dichter und kraftvoller Klangteppich aus monotonen Rhythmuspassagen und schnellen Violinläufen. Kurze Motive aus wenigen Einzeltönen steigerten sich dabei stetig in Tempo und Tonlage. Die tiefen Schreie, die Colin Stetson am Saxofon produzierte, verliehen der Musik einen dumpfen, rohen und teilweise gespenstischen Charakter.

Durch die rhythmischen Basslinien des Saxofons, die temporeichen Läufe an beiden Instrumenten sowie die Lautstärke erinnerte der Auftritt klanglich eher an das Konzert einer Heavy-Metal-Band. Dem treibenden Rhythmus und rockigen Sound konnte man sich nur schwerlich entziehen. Für den Auftritt am Sonntag hatte sich Stetson die "Sinfonie der Klagelieder" von Henryk Mikolaj Górecki vorgenommen. Der Sinfonie des Polen liegen drei Lieder zugrunde, die universelles und historisches Leid zum Ausdruck bringen. Der erste Satz basiert auf einem Text aus dem 15. Jahrhundert, der dem Kloster Heiligenkreuz entstammt und die Klage Marias um ihren gekreuzigten Sohn thematisiert. Der zweite Satz geht auf ein Gebet zurück, das an die Wand einer Zelle im Gestapo-Hauptquartier in Zakopane geschrieben wurde. Im dritten Satz ist ein schlesisches Volkslied zu hören, das aus der Zeit des polnischen Aufstandes gegen die Russen im 19. Jahrhundert stammt.

Für die Weltpremiere des Werkes "Sorrow, a reimagining of Gorecki's Third Symphony" hatte Colin Stetson ein zwölfköpfiges Orchester aus Bläsern, Streichern, Gitarristen und Rhythmusinstrumentalisten zusammengestellt. Das Ergebnis dieser Premiere, bei der Stetsons Schwester Megan die Klagelieder mit ihrer Sopranstimme vortrug, war ein wahres Klangerlebnis. Allerdings wirkte das eher schlanke Werk aufgrund der veränderten Instrumentalisierung sowie der Lautstärke phasenweise recht pathetisch. Es schien die meisten Konzertbesucher jedoch keineswegs zu stören. Mit stehenden Ovationen bedankten sie sich beim "Artist in Residence" und seinem Orchester für den emotionalen Auftritt.

(lang)
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