Moers Stolpersteine erzählen ihre Geschichte

Moers · Gestern Morgen um neun Uhr. Der Kölner Künstler Günter Demnig hat die ersten von vier messingfarbenen "Stolpersteinen" vor einem unscheinbaren Haus in der Rheinberger Straße verlegt.

 Schüler des Adolfinums legen Blumen zum Gedenken an die Opfer an der Rheinberger Straße nieder. r

Schüler des Adolfinums legen Blumen zum Gedenken an die Opfer an der Rheinberger Straße nieder. r

Foto: Klaus Dieke

78 "Stolpersteine" sind damit verlegt worden. Jeder von ihnen erzählt eine eigene, bedrückende Geschichte. An der Rheinberger Straße lebte die Witwe des Viehhändlers Hermann Cahn, Sabine, gemeinsam mit ihren Töchtern Alma und Betty. Die Töchter Elfriede und Emmy waren nach der Hochzeit ausgezogen. Auch die zweitjüngste Tochter Ida, hatte das Elternhaus bereits verlassen um in einem Berliner Krankenhaus als Ärztin zu arbeiten. Als sie von der bevorstehenden Deportation ihrer 76 Jahre alten Mutter und ihrer beiden Schwestern hörte, reiste sie nach Moers und ließ sich ebenfalls auf die Deportationsliste setzen. "In Berlin", sagt Bernd Schmidt von ,Erinnern für die Zukunft', hätte sie vielleicht noch eine Chance gehabt, sich zu verstecken." So aber ging sie in den Tod, weil sie ihrer Mutter beistehen wollte.

Galten die ersten "Stolpersteine" noch überwiegend jüdischen Opfern, rückten nach und nach auch diejenigen in den Blickpunkt, die von den Nazis aufgrund ihrer politischen Haltung verfolgt wurden. Dazu zählten Sozialdemokraten und Kommunisten wie der Bergmann Jakob Wolff, der 1936 wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt worden war und nach der Entlassung in ein Strafbataillon eingezogen wurde. Wolff fiel am 6. Februar bei Magdeburg.

 Jakob Wolff Heinrich Laakmann Jakob Wolff Heinrich Laakmann

Jakob Wolff Heinrich Laakmann Jakob Wolff Heinrich Laakmann

Foto: EfdZ

Bewegend auch das Schicksal des Otto Preul. Der Postinspektor wohnte in der Hopfenstraße 28 und war politisch in keiner Weise aktiv- Dennoch wurde er 1944 wegen kritischer Äußerungen über das Regime "abgeholt". Er starb auf der Moerser Polizeiwache. Laut Todesurkunde habe er dort den "Freitod" gewählt. Tatsächlich konnten die genauen Umstände seines Todes bis heute nie aufgeklärt werden. Selbst enge Familienangehörige hatten jahrelang geglaubt, der 66-Jährige habe sich an seinem Arbeitsplatz, der Postdienststelle an der Uerdinger Straße, umgebracht.

Heinrich Laakmann, ein Mann mit einem ehrfurchtgebietenden Vollbart, war Landwirt und Mitglied der Zeugen Jehovas, die Wehrdienst und Hitlergruß aus Glaubensgründen verweigerten. Nach Verbüßung einer Haftstrafe wurde Laakmann ins Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt, wo er 1940 an Entkräftung starb. Sein Sohn Peter wurde ebenfalls verhaftet. Er überlebte das KZ Buchenwald.

Zunehmend ins Blickfeld der "Stolperstein"-Nachforschungen sind in den letzten Jahren die Opfer des Euthanasieprogramms der Nazis genomen worden. Zwischen 1940 und 1941 waren Menschen aus Heil- und Pflegeanstalten im Rahmen der so genannten T4_Aktion in Vernichtungslager überstellt und dort noch am selben Tag umgebracht worden. "Wegen der Proteste der Kirchen mussten die Nazis diese Aktion unter konspirativen Umständen durchführen", sagt Schmidt.

Zwei der gestern verlegten Moerser Steine erinnern an die Hausangestellte Katharina Wüllenweber, die am 17. April in Bernburg ermodet worden war und an den Meerbecker Hifsarbeiter Erich Pausewang, den die Nazis am 2. April 1940 in Brandenburg ermordeten.

Ein weiterer "Stolperstein" soll am 6. Juli in Repelen verlegt werden. Er erinnert an den Tod des Bergmanns Friedrich Jirsak. Das KPD-Mitglied war zwar vor Gericht von dem Vorwurf der Vorbereitung des Hochverrats 1936 freigesprochen, jedoch noch im gleichen Jahr von der Gestapo verhaftet und brutal gefoltert worden. Von den Folgen der Misshandlungen erholte er sich nicht mehr. Er starb am 4. Januar 1940.

Spendenkonto: Erinnern für die Zukunft, IBAN DE96 354 50000 1138 0033 12. BIC WELADED1MOR

(RP)
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