Serie Moerser In Berlin Tatorttreff in der Lietzenburger Straße

Moers · Gerhard Vowe wechselte vor 46 Jahren vom Niederrhein an die Spree. Obwohl er nun schon seit vielen Jahren eine Professur in Düsseldorf bekleidet, ist er seiner neuen Heimat treu geblieben. In Moers ist derHochschullehrer nur noch zu Gast.

Moers Im Schuljahr 1969/70 wählten die Schüler des ehrwürdigen Gymnasiums Adolfinum Gerhard Vowe zu ihrem Schülersprecher. Der Name Vowe war an diesem Hort humanistischer Bildungseinrichtung alles andere als unbekannt. Sein Vater hatte als Pfarrer im Nazi-Reich als einer der wenigen Moerser Protestanten der bekennenden Kirche angehört. Er und der spätere Leiter des Adolfinums, Wilhelm "Padder" Marx, trafen sich während der braunen Diktatur im privaten Zirkel, wo verbotne Bücher diskutiert wurden.

Auch der junge Vowe hatte eine geistige Sendung. Er war nicht unmaßgeblich daran beteiligt, dass ganze Jahrgänge von Adolfinern mindestens ebenso sehr mit der Zukunft des Sozialismus - oder was sie dafür hielten - wie mit ihrem Testosteronhaushalt beschäftigt waren. Während sich andernorts die 68er-Bewegung in ihre Bestandteile auflöste, gründeten Vowe und Genossen die "Kritische Schule Moers" und veranstalteten hochpolitische außerschulische Arbeitskreise. "Wir waren ein Provinzableger der Apo", erinnert sich Vowe.

1971 legte er sein Abitur ab und wechselte danach sofort nach Berlin. "Ich wollte möglichst weit weg von zu Hause. Außerdem waren andere schon vor mir dorthin gezogen, wie zum Beispiel Hartmut Hohmann." Eine der linken Brennzellen in der Frontstadt des Westens war damals das Otto-Suhr-Institut an der Freien Universität Berlin. Dort begann Vowe ein Studium der politischen Wissenschaften, der Publizistik und der Informationswissenschaften.

Zu seinen Jugendsünden rechnet Vowe heute auch eine zweijährige Mitgliedschaft bei der maoistisch organisierten Kleinpartei KPD/ML. Heute schaudert ihn, wenn er daran denkt, dass er damals begeistert die Werbetrommel für einen Massenschlächter wie Mao-Tse-Tung rührte. "Seit dieser Zeit bin ich immun gegen jede Art von Totalitarismus", sagt Vowe.

Bei den Moerser Mit-Exilanten war Vowe auch weniger wegen seiner politischen Aktivitäten bekannt als wegen seiner legendären "Tatort"-Abende. An jedem Sonntag, an dem eine neue Folge im Fernsehen kam, versammelte sich rund ein Dutzend Moerser im Voweschen Wohnzimmer an der Lietzenburger Straße, um dort gemeinsam Schwarz-Weiß-Fernsehen zu gucken. "Das einzige Mal, dass ich damals eine Folge in Farbe gesehen habe, war, als ich mal eine Tante in Ost-Berlin besucht habe", sagt Vowe.

1978 begann Vowe sein akademisches Wanderleben als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Berlin. Seine Habilitationsschrift 1991 befasste sich an der TU Darmstadt mit der Enquete-Kommission des Bundestages zu Risiko-Technologien. Weite Stationen in Ilmenau (Thüringen), Köln, Berlin und Dresden folgten, ehe er 2004 eine Professur an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf erhielt.

Nun ist es von der Landeshauptstadt bis nach Moers nur ein Katzensprung. Dennoch ist es Vowe nie in den Sinn gekommen, wieder an den Niederrhein zurückzuziehen. "So sehr ich die menschen in Moers, mag, aber ich würde mich hier nicht mehr heimisch fühlen", sagt er. Die Orte meiner Jugend, die Kinos, das Hallenbad, das Café Roos und den Bergbau - all das gibt es nicht mehr."

Dennoch hält der Professor seiner Geburtsstadt die Treue. In jedem Jahr kommt er während der Weihnachtsferien zum Klassentreffen in den Kleinen Reichstag. Und in Berlin ist die Vowesche Altbauwohnung - inzwischen in Wilmersdorf - zweimal im Jahr immer noch Tatort-Treffpunkt der Exil-Moerser.

(RP)
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