Moers Theater verhandelt den Judas-Verrat

Moers · Kathrin Leneke gibt Regie-Debüt mit "Judas". Großer Applaus für das Solo von Schauspieler Frank Wickermann.

 Solo für Frank Wickermann. Er spielt Judas.

Solo für Frank Wickermann. Er spielt Judas.

Foto: Bettina Engel-Albustin

Sein Name bleibt fast 60 Minuten lang unausgesprochen. In der kleinen Kapelle an der Rheinberger Straße steht ein Mann, dargestellt von Frank Wickermann, der viel erwartete, einem König folgte, glaubte, zweifelte und hoffte. Einer unter Zwölfen, mehr noch: einer von vielen, der am Ende für 30 Silberlinge zum Verräter wurde und dessen Name seit zweitausend Jahren unweigerlich mit Verrat und Schuld verbunden wird - Judas Iskariot.

Kathrin Leneke, Regieassistentin am Moerser Schlosstheater, spürt in ihrem "Gesellen-Stück" der Frage nach, wer dieser Mann, dieser Judas eigentlich war. Als Vorlage für die Inszenierung diente das 2007 erschienene Stück der niederländischen Autorin Lot Vekemans, das mehr ist als nur das Psychogramm eines Verräters. Vekemans beschreibt einen Mann, der in der Rechtfertigung seiner Schuld beim Zuhörer neue Fragen aufwirft und ungewohnte, weil nie in Betracht gezogene Sichtweisen auf die so lange schon tradierte Geschichte von Verrat, Kreuzigung und Auferstehung provoziert.

"Er ist nicht für Eure Sünden gestorben. Wenn einer für Eure Sünden gestorben ist, dann bin ich das", ruft Judas dem Publikum zu und beschreibt sich selbst als einen Mann mit Verantwortung. "Ich habe die Schuld auf mich genommen. Jemand musste es tun." Kathrin Leneke wählte als Bühnenpartner in der Rolle des Judas einen erfahrenen Schauspieler. Frank Wickermann weiß die Kapelle als Spielort mit seiner Präsenz auszufüllen und die Intimität des schwarz gestrichenen Raumes auszuhalten. Er tritt an, die "unbekannte" Geschichte zu erzählen, anfangs distanziert und zögernd mit vielen Leerstellen im Monolog, die wiederum die Kapelle mit einer beklemmenden Stille erfüllen. Kathrin Leneke schafft mit ihrer ersten Regiearbeit ein sehr dichtes, konzentriertes Stück, das dem Publikum große Aufmerksamkeit abverlangt. Der Bühnenraum ist sparsam ausgestattet, gleichzeitig wird die ganze Kapelle für Wickermann zur Bühne - von der Empore bis hin zu den obereren Zuschauerrängen.

Ein wichtiges Requisit ist das Mikrofon, das die Stimme des Schauspielers wie in einer Kirche nachhallen lässt. Wickermann, der irgendwann ein schwarzes Glitzer-Shirt mit dem Schriftzug "Judas" überzieht, verhandelt in seiner Rolle philosophische Fragen, auf die er vom Publikum keine Antworten erhält: Es geht um nicht erfüllte Erwartungen, um wahr und unwahrscheinlich, um Glaube und Zweifel. Er sucht den Blickkontakt, spricht die Zuschauer direkt an, erzählt von seiner Familie und aus seinem Leben. Darüber, wie er Jesus begegnete. Er berichtet über andere "Pseudo-Messiasse", "Fake-Messiasse", die die Menschen aufforderten, ihnen und nicht Gott zu folgen. "Er war anders. Er glaubte an Veränderung", sagt er und bringt die Zuschauer dazu, mit ihm zu singen: "Hosianna. Der König ist gekommen." Lenekes Inszenierung provoziert zuweilen. Die Jesu-Witze, die Wickermann in seiner Rolle als Judas sozusagen heraushaut, sind nichts für zarte Gemüter. Das Besondere dieser Inszenierung ist aber, dass sie das Publikum nicht in einer wohligen Distanz zuschauen lässt. Es muss sich am Ende von Wickermann/Judas fragen lassen: "Wo hätten Sie gestanden - am Wegesrand oder hinter dem Fenster?" Und auch: "Traut sich jemand anderes, seinen Namen dafür herzugeben?"

Nächste Aufführung: Samstag, 8. April, 19.30 Uhr, Kapelle.

(RP)
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