Moers Theater zeigt Extremismus im Alltag

Moers · Regisseurin Catherine Umbdenstock inszeniert Simon Stephens "Pornographie" in der Kapelle an der Rheinberger Straße als emotional dichten Theaterabend. Die Schauspieler Wickermann, Heße und Möller sind ungemein präsent.

 Matthias Heße, Frank Wickermann und Marissa Möller sind die Darsteller in Catherine Umbdenstocks Inszenierung "Pornographie" des britischen Autors Simon Stephens. Das Bühnenbild ist eine Anspielung auf den Titel. Die Räume erinnern an Etablissements im Rotlicht-Milieu.

Matthias Heße, Frank Wickermann und Marissa Möller sind die Darsteller in Catherine Umbdenstocks Inszenierung "Pornographie" des britischen Autors Simon Stephens. Das Bühnenbild ist eine Anspielung auf den Titel. Die Räume erinnern an Etablissements im Rotlicht-Milieu.

Foto: Jakob Studnar/Schlosstheater

Hinter drei geschlossenen Jalousien tun sich sieben Abgründe auf. Sie erzählen von Verzweiflung, Einsamkeit und Isolation. Regisseurin Catherine Umbdenstock gibt in der Kapelle an der Rheinberger Straße den Blick auf das Dahinter frei. Sie wirft Schlaglichter auf die dort lebenden Menschen, die in ihren Lebenskrisen feststecken, keinen Ausweg finden und bald Grenzen überschreiten. Als Vorlage dient das Theaterstück "Pornographie" des britischen Autors Simon Stephens, das unter dem Eindruck der Selbstmordattentate in London im Jahr 2005 entstanden war. Er beleuchtet darin nicht das Attentat selbst, das sich in das Gedächtnis Englands gebrannt hat. Er entwirft als Gegengewicht einen alltäglichen Kosmos, in dem der Einzelne zum Extremisten im Kleinen werden kann. Umbdenstock, die das Stück für das Schlosstheater inszenierte, fügt diesen Kosmos aus Monologen und Zwiegesprächen zu einem emotional dichten Kammerspiel zusammen.

Pornographie, wie es der Titel suggeriert oder wie sie landläufig interpretiert wird, findet sich nur als eine Anspielung im karg ausgestatteten Bühnenbild wieder. Elisabeth Weiß hat für die Inszenierung im oberen Teil der Kapelle drei kleine voneinander getrennte Räume mit herunter gelassenen Jalousien eingerichtet. Sie erinnern an Etablissements im Rotlicht-Milieu, in denen sich Damen zur Schau stellen. Vor dort geht es abschüssig über eine Schräge nach unten. Der Abgrund befindet sich direkt vor der ersten Stuhlreihe im Publikum. Das Stück entrollt sich Szene für Szene: Die Jalousie lichtet sich, eine Figur tritt hervor, innerlich zerrissen, erzählt ihre Geschichte. Dazu setzt Catherine Umbdenstock geschickt Musik ein, zum Beispiel das wiederkehrende "London Calling" von The Clash. Simon Stephens Vorlage bietet wenig Aktion, dafür den Schauspielern aber die Darstellung im Monolog.

Frank Wickermann, Matthias Heße und Marissa Möller wissen, diese Chance gut zu nutzen. Die Inszenierung profitiert von ihrer Präsenz und auch Wandelbarkeit. Frank Wickermann ist die einsame Alte, die niemanden sieht, niemanden spricht und sich wundert, dass die U-Bahn-Station an allen Seiten geschlossen ist. Ebenso überzeugend gibt er den gebrochenen Professor, der die Not seiner Studentin sexuell ausnutzt, und den Bruder, der sich in Leidenschaft zur Schwester hingezogen fühlt. Matthias Heße spielt den Schüler, der in seinem Alltag fast nur Gewalt erlebt, sich in seine Klassenlehrerin verliebt ist, aber nicht erhört wird, und sich am Ende wünscht, sie hätte in der U-Bahn gesessen. Marisa Möller interpretiert die junge Mutter, die sich vom Mann vernachlässigt und vom Chef gedemütigt fühlt, als innerlich zerrissene Person. Auch sie überschreitet eine Grenze, indem sie die Firma verrät. Dann schlüpft sie in die Rolle der Frau, die für den Professor einen Striptease hinlegt - in der Hoffnung, er verschaffe ihr einen Job. Ja, und dann gibt es noch die vier Männer, die in die Stadt fahren mit Sprengstoff im Rucksack...

In der Intimität der Kapelle an der Rheinberger Straße lassen sich solche psychologischen Momente und Krisen gut einfangen. Das Publikum sitzt hier ganz nah dran. Catherine Umbdenstock hat einen intensiven Theaterabend geschaffen, der aber vor allem im ersten Monolog leider Längen zulässt und am Ende mit Martinshorn-Geheul fürs Publikum zu abrupt schließt.

(RP)
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