Moers Warum Opas Krieg noch die Enkel traumatisiert

Moers · Der Paritätische Wohlfahrtsverband will eine Selbsthilfeeinrichtung für eine ungewöhnliche Zielgruppe gründen.

Die Selbsthilfe-Kontaktstelle des Paritätischen sucht für die Gründung einer Selbsthilfegruppe zum Thema "Kriegsenkel" interessierte Betroffene im Bereich Moers/Neukirchen-Vluyn und Umgebung.

Der Begriff "Kriegsenkel" wurde durch die Journalistin Sabine Bode geprägt. "Kriegsenkel" gehören in Deutschland zu den Jahrgängen 1960 bis 1975. Nachkriegskinder zählt man ab dem Zeitpunkt 1949 bis 1959. Kriegsenkel sowie auch die Nachkriegskinder, deren Eltern die NS-Zeit und den zweiten Weltkrieg als Kinder und Jugendliche erlebt haben, und bis heute, meist nicht wahrgenommen, stehen mitunter unter den Einflüssen von traumatischen Erlebnissen.

Mittlerweile ist bekannt, dass die Generation der Nachkriegskinder und Kriegsenkel durch Traumata ihrer Eltern geprägt sein können, durch die sogenannte "transgenerationale Weitergabe". Nicht selten leiden Nachkriegskinder sowie Kriegsenkel unter diffusen Ängsten, dem Gefühl der Heimatlosigkeit, Schuldgefühlen, depressiven Verstimmungen, Blockaden, Nebelgefühlen ebenso wie vielen psychosomatischen Beschwerden. Oft können sie sich nicht erklären, wo diese Probleme ihren Ursprung haben könnten.

Wissenschaftler erklären sich dieses Phänomen so: Die Kinder der Kriegskinder sind nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges in einer Gesellschaft aufgewachsen, die bemüht war, den Krieg hinter sich zu lassen, die Folgen zu verdrängen. Man wollte der Vergangenheit den "Rücken kehren". Hinter den Fassaden verschiedensten Neuorientierungen wurde eine "heile Welt" vermittelt.

Die Folgen des Weltkrieges, ihrer erlebten Traumata durch das Schüren von Ängsten, Orientierungslosigkeit, Aggressionen, Gewalt mit sämtlichen Folgen (Tod, schwerste Körperverletzungen, Vergewaltigungen, Flucht aus der Heimat, vermisste Familienangehörige) wurden oft weitergereicht und dort ausgelebt, wo die Öffentlichkeit keinen Zutritt hatte: in der Familie.

Die Nachkriegskinder und Kriegsenkel wuchsen in den Zeiten des Wohlstandes auf, als Friedenskinder. Ihnen hat es an nichts gefehlt. Oder doch? Sabine Bode hinterfragt in ihrem Buch "Kriegskinder", ob es möglich ist, dass eine Zeit, die über 60 Jahre zurückliegt, so stark in das Leben als nachgeborene Kinder hineinwirken kann. Die Selbsthilfegruppe "Kriegsenkel" möchte Betroffenen ein Forum für den Austausch zur Kriegsenkel-Thematik bieten. Eingeladen sind alle, die sich mit den Chancen und Hürden dieses bzw. ihres biografischen Erbes auseinandersetzen möchten. Persönliche Erfahrungen, Tipps zu Recherchemöglichkeiten, Tagungen, Literatur mit Bezug zur Kriegsenkel-Thematik stehen dabei im Fokus.

Infos: Ludgera Geldermann und SandraTinnefeld, 02841 90000 oder selbsthilfe-wesel@paritaet-nrw.org.

(RP)
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