Moers Wenn Träume wie Luftballons zerplatzen

Moers · Das Theaterfestival Westwind thematisierte in dem Stück "All about Nothing", wie es sich in Armut lebt.

 Ballons wurden zum Sinnbild der vergehenden Zeit.

Ballons wurden zum Sinnbild der vergehenden Zeit.

Foto: christoph Wolff

Wie wird man eigentlich zu dem, der man ist? Durch das, was man hat? Oder kann man alles werden, wenn man nur fest genug an sich glaubt? Fragen wie diesen geht das Theaterstück "All about Nothing" von "pulk fiktion" auf den Grund, das im Rahmen des Theaterfestivals Westwind jetzt in Moers zu sehen war.

Die Bühne im voll besetzten Schlosstheater ist betont schlicht, was der Fantasie der überwiegend jungen Zuschauer Raum lässt, die assoziativ-poetischen Bilder zu verarbeiten. "I need a dollar, a dollar is what I need" - der Song am Anfang deutet an, was in dem Stück die Hauptrolle spielt. Aber eigentlich geht es nicht wirklich um Geld, sondern um sein Fehlen.

Wie ist das, wenn man ohne Dollars leben muss oder ohne die 20 Euro, die sich die Schauspieler vom Publikum leihen? Der Schein, von der Kamera auf den weißen Vorhang hinter der Bühne projiziert, wird zu einem wesentlichen Requisit neben den Heliumballons mit Alterszahlen von 21 bis 0, die rückwärts zählend eine bedrückende Chronologie zeigen. Im Lauf der Jahre werden die Wünsche immer kleiner, immer bescheidener, und trotzdem zerplatzen die Ballons wie die Träume der Geburtstagskinder.

In einer bunten Inszenierung aus Musik, realen Interviewausschnitten, Zeichnungen, Tanz und Modelauftritten nähert sich die vierköpfige Schauspielergruppe (Norman Grotegut, Elisa Hofmann, Manuela Neudegger und Sebastian Schlemminger) dem Thema Kinderarmut aus verschiedenen Perspektiven und lässt dabei über Kontaktschwellen auf dem Bühnenboden, mittels derer Auszüge aus Gespräche mit Kindern und Jugendlichen eingeblendet werden, auch die eigentlichen Hauptdarsteller zu Wort kommen. Ganz nüchtern und klar wird die Realität geschildert: Wer Geld hat, feiert Geburtstag am See, geht dauernd ins Kino, lebt in einer fetten Villa mit Pool, fährt einen 5er BMW und macht Urlaub auf Teneriffa. Wer kein Geld hat, kann nicht mitfeiern, geht nicht ins Kino und muss sich das Zimmer mit der kleinen Schwester teilen.

Das Auto ist längst verkauft worden, um den Umzug in die billigere Wohnung zu finanzieren. Und Urlaub gab es früher mal, als der Vater noch Arbeit hatte und die Familie mehr Geld. "Liebe 20 Euro", betet der Sechsjährige, "gerade brauche ich dich wirklich. Komm doch einfach mal wieder vorbei."

Es scheint keinen Ausweg aus dem Armutsteufelskreis zu geben: "Wenn die Großeltern Hartz IV waren und die Eltern auch, dann hast du keine Perspektive!" Ein bisschen klingt die immer wiederkehrende Aussage wie Hohn: "Wenn man will, dann schafft man es auch!" Aber letztlich bleibt sie doch die einzige Aussicht auf Veränderung. Wie das Stück auf junge Besucher wirkt, zeigt der Dialog zweier Teenager, den man beim Verlassen des Theaters mithören konnte. "Wie fandest du das?", fragte die eine. Die lapidare Antwort: "Gut eigentlich. Aber auch irgendwie traurig. Ohne Geld ist ganz schön Kacke."

(RP)
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