Serie Mein Engel Wie Amar mir den Weg gewiesen hat

Moers · Janna Anzurova kam im Alter von 15 Jahren nach Deutschland. Ein schwieriges Alter für einen Teenager, besonders, wenn er nur Russisch und Tscherkessisch spricht. Doch Janna fand jemanden, der ihr half, in Moers Fuß zu fassen.

Für Janna Anzurova gibt es kaum ein schöneres Kompliment, als wenn man sie auf ihre Stimme anspricht. Ihr Deutsch ist makellos, ihre Aussprache so akzentuiert, dass sie im Rundfunk die Nachrichten vorlesen könnte. Das wäre aber viel zu Schade, denn ihre Sätze haben eine Melodie, wie kein in Deutschland bekannter Dialekt sie hat. Es ist, als würde man die deutsche Phonetik nehmen und sie von einem genialen Designer veredeln lassen. "Das hängt wohl damit zusammen, dass meine Muttersprache Tscherkessisch ein echter Zungenbrecher ist", sagt sie und strahlt. "Es ist schön, wenn jemandem meine Aussprache gefällt, denn ich habe hart dafür arbeiten müssen."

Als die heute 29-Jährige vor 14 Jahren mit ihrer alleinerziehenden Mutter und ihrem Bruder nach Deutschland kam, sprach sie kein Wort Deutsch. Von den Bergen des Kaukasus hatte es die 15-Jährige vor allem deshalb an den Niederrhein verschlagen, weil ihr Onkel zuvor nach Deutschland ausgewandet war und hier Arbeit gefunden hatte. Jannas Vater war gestorben, als sie vier Jahre alt war. So hatte auch ihre Mutter, eine gelernte Historikerin, immer Vollzeit arbeiten müssen, um die Familie durchzubringen. Das änderte sich auch nicht, als Mutter und Tochter nach Deutschland kamen. Janna musste die neunte Klasse noch einmal nachmachen - in der Justus-von-Liebig-Hauptschule. Dass ein intelligentes junges Mädchen aus einer Akademikerfamilie wie sie auf einer deutschen Hauptschule eher fehl am Platz sein könnte, kam ihr nie in den Sinn. "Ich wusste damals ja nicht einmal, was das Wort ,Abitur' bedeutet." Tatsächlich fühlte Janna sich an der Justus-von-Liebig-Schule wohl. Ihre Mitschüler, viele von ihnen selbst mit Migrationshintergrund, zeigten viel Verständnis für den Neuankömmling. "Und die Lehrer", sagt Janna, "haben mich sehr gefördert."

Doch alle Bemühungen der Schule hätten Janna wohl kaum zu einem derartigen Musterbeispiel für gelungene Integration gemacht, hätte sie nicht Amar Azzoug getroffen. Der gebürtige Algerier hatte damals den Bunten Tisch ins Leben gerufen, um das Miteinander unterschiedlicher Kulturen in Moers zu fördern. Azzoug kann sich noch genau an das Mädchen erinnern, das immer mit einem Wörterbuch unterm Arm zu der ehemaligen Asylbewerberunterkunft in Scherpenberg kam. Jannas Mutter hatte den Kontakt vermittelt, wohl auch, weil sie spürte, dass dem Mädchen ein väterlicher Freund gut tun würde.

 Durch eine schwierige Zeit hat Janna Anzurova...

Durch eine schwierige Zeit hat Janna Anzurova...

Foto: Reichwein

Rasch wurde Janna Teil des Projekts "Bunter Tisch", organisierte eine Aufführung des "Kleinen Prinzen" mit einer Kinder-Theatergruppe und nahm Teil am Wachsen des "Gartens der Kulturen". Vor allem war Amar immer da, wenn Janna Rat brauchte. "Er war irgendwie so", sie stockt und sucht nach einem Wort, "ja man kann schon sagen weise und hatte auf alles eine Antwort, egal ob es um private Dinge oder etwas Anderes ging", sagt Janna. Daheim im Kaukasus war Jannas muslimische Familie nicht besonders religiös. Aber hier in Deutschland musste Janna sich damit auseinandersetzen, dass sie andere kulturelle Wurzeln hatte als die meisten ihrer Mitschüler. Was bedeutete ihr ihre Religion? Sollte sie sich stärker auf sie einlassen, um ihre Identität zu bewahren? Oder würde sie sich so vielleicht zu stark von ihren Mitschülern abgrenzen? Fragen, die ihr zu Hause nie gestellt worden wären. Fragen, denen auch der gebürtige Algerier Amar Azzoug, der als Student nach Deutschland gekommen war, sich stellen musste.

"Junge Leute, die gerade nach Deutschland gekommen sind, geraten oft in eine Identitätskrise", so Azzoug. "Da brauchen sie dann einen Lotsen, der ihnen den Weg weist." Diese Fähigkeit war gefragt, als Janna in die Oberstufe einer Gesamtschule wechselte und Probleme bekam. Die Lehrer empfahlen Janna, das Jahr zu wiederholen, doch das Mädchen wollte nicht: "Bei uns zu Hause ist es eine große Schande, wenn man in der Schule versagt. Ich wollte kämpfen, damit ich nicht sitzenbleibe. Ich habe mich dann mit Amar auf eine Pizza getroffen, und da hat er mir ausgeredet, dass ich dagegen ankämpfen solle."

 ...Amar Azzoug geholfen.

...Amar Azzoug geholfen.

Foto: Reichwein

Ein Rat, für den Janna ihrem Mentor dankbar ist. Die junge Frau hat ihr Abitur abgelegt und bereitet sich derzeit auf ihr Staatsexamen als Lehrerin für Deutsch und Englisch vor. Viele Jahre lang war sie Vorstandsmitglied beim Bunten Tisch. Auch heute noch besucht sie gelegentlich den "Garten der Kulturen".

Azzoug will seine Rolle bei Jannas Geschichte nicht überbewerten. "Janna hat sich alles selbst zu verdanken", sagt er. Gerade deshalb sei sie ein Vorbild vor allem für viele Migrantenkinder: "Ihr Beispiel zeigt: Du kannst was aus deinem Leben Machen." Jürgen Stock

(RP)
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