Nettetal Alte Schlesier-Fahne nun an neuem Ort

Nettetal · Über 40 Jahre hat sich der zuletzt in Hinsbeck wohnende Maurermeister Manfred Scholz für die Landsmannschaft Schlesien eingesetzt und viele Fahrten nach Langwasser organisiert.

 Die Fahne aus Lobberich erhielt jetzt das "Haus Schlesien" (v.l.): Sabine Scholz, Gerd Klein, Eveline Klein, Silke Findeisen (Haus Schlesien), Ursula Scholz, Maria Scholz und Alfons Scholz.

Die Fahne aus Lobberich erhielt jetzt das "Haus Schlesien" (v.l.): Sabine Scholz, Gerd Klein, Eveline Klein, Silke Findeisen (Haus Schlesien), Ursula Scholz, Maria Scholz und Alfons Scholz.

Foto: Michael Lambertz

Weil der Krebs, wie er spürte, nicht mehr zu besiegen war, hat Manfred Scholz zeitig begonnen, seine lokalhistorischen Schriften und Unterlagen über seine schlesische Heimat Langwasser zu ordnen und die Geschichte der Landsmannschaft Schlesien in Lobberich der Nachwelt zu erhalten. Sie haben einen Platz im Kreisarchiv in der Kempener Burg gefunden. Nur eines schaffte er nicht mehr: Die Fahne der Landsmannschaft wollte er noch ins "Haus Schlesien" im Siebengebirge bringen. So senkte sich im Mai die Fahne ein letztes Mal bei seiner Beerdigung auf dem Hinsbecker Friedhof über seinem Grab. Jetzt aber haben seine Frau Ursula und seine Tochter Sabine sie mit einigen Freunden ins "Haus Schlesien" gebracht, wo sie künftig zu sehen sein wird.

Manfred Scholz war Mitte 1946 mit seinen Eltern Clemens und Minna Scholz und seiner Schwester Annemarie von den Polen vertrieben worden und nach einer mehrtägigen Fahrt, teilweise in Güterwaggons, nach Lobberich gekommen. Der Familie wurde eine (viel zu) kleine Mansardenwohnung in einem Haus an der damaligen Jahnstraße (heute Steegerstraße) gegenüber dem Amtsgericht zugewiesen. Die Schule lag damals schräg gegenüber. Der Achtjährige kam noch einmal in die erste Klasse, da er in den Wirren zum Kriegsende in Langwasser keinen ordentlichen Schulunterricht erhalten hatte. Er sieht da auch eine Respektsperson aus der Heimat wieder, den Volksschullehrer Erlebach, der hier eine neue Anstellung gefunden hat.

Nach acht Jahren Schule packt er im wahrsten Sinne des Wortes an. Manfred Scholz lernt Maurer und hilft beim Wiederaufbau des zerstörten Deutschland. Dass für den Maurermeister 1964 ein eigenes Haus in Hinsbeck entsteht, ist selbstverständlich. Hat er doch beim Tanz in der Lobbericher Königsburg an der oberen Breyeller Straße ein Mädchen kennengelernt, das wie er einen weiten Umweg an den Niederrhein gemacht hatte: Ursula Wicht stammte aus Ostpreußen. Sie wuchs in Schleswig-Holstein auf und kam über Geschwister, die es nach Dornbusch verschlagen hatte, nach hier. Das Haus füllt sich bald mit Sohn und Tochter.

Schon früh engagiert sich Manfred Scholz in der Ortsgruppe Lobberich der Schlesischen Landsmannschaft, die Walter Nehrig 1954 mit einigen Landsleuten gründet. Der gebürtige Breslauer ist kein Vertriebener: Er hat die Liebe seines Lebens in Lobberich-Sassenfeld gefunden, als er als Soldat auf dem Nachtjäger-Fliegerhorst Venlo eingesetzt war. Die Schlesier integrieren sich ziemlich schnell, "obwohl sie zunächst nicht gerngesehen waren", erinnert sich Eveline Klein. Sie feiern als "Nette Usinger" Karneval und machen im Lobbericher Karnevalskomitee mit. 50 Jahre lang ist Nehrig Vorsitzender, nach dem Goldjubiläum löst sich die Landsmannschaft auf - 2004 ist nicht mehr 1954.

Manfred Scholz ist Nettetaler geworden, aber im Herzen auch ein Langwasserer geblieben. So organisiert er in Lobberich nicht nur regelmäßige Treffen der Langwasserer, die auch in Kempen, Kevelaer und der DDR leben, sondern 1981 auch eine erste Busfahrt in das Heimatdorf. Es sollten noch 15 weitere folgen. Rund 450 ehemaligen Langwasserern und ihren Angehörigen hat er ein Wiedersehen mit der früheren Heimat im Kreis Löwenstein nahe Hirschfeld (heute Jelenia Gora) ermöglicht. "Wir sind zunächst argwöhnisch beobachtet worden, als wir unsere früheren Häuser betrachteten", erinnert sich Eveline Klein. Denn die neuen Bewohner von Langwasser befürchteten eine erneute Vertreibung. Sie waren 1946 von Ostpolen (heute Ukraine) hierher umgesiedelt worden - viele gingen nicht freiwillig nach Westen. Keine Bange: "Inzwischen sind zahlreiche Freundschaften entstanden".

Fast 70 Jahre lebt Dorothea Eulenpesch geb. Stephan (81) nun am Niederrhein, doch bleibt die schlesische Herkunft ein wichtiges Zeichen ihrer Identität. "Mein Bruder war vor fünf Wochen noch zu Hause", erzählt sie - Langwasser bleibt nah. Noch heute ist ihr der Vorwurf einer Mitarbeiterin der Stadtverwaltung unverständlich, sie habe sich bei ihrem Rentenantrag fälschlich als Deutsche ausgegeben, obwohl sie doch im Ausland geboren sei. "Da war ich geschockt", sagt sie und wundert sich, dass Geschichte so schnell vergessen wird.

(mme)
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