Nettetal Bundestagswahl: Die Sorgen der Jüngeren

Nettetal · Die Alten bestimmen den Ausgang der Bundestagswahl — im Kreis Viersen mehr als woanders. Hier ist der Anteil der Über-60-Jährigen höher als im Bundesschnitt, und der Anteil der 18- bis 24-Jährigen ist geringer. Zumal der Anteil der Nichtwähler bei Jüngeren höher liegt als bei älteren Wählern. Doch die nächste Generation muss mit den Entscheidungen der Politik von heute leben. Gestern stellten sich fünf Bundestagskandidaten aus dem Kreis Viersen Schülerfragen

 Nina Langheinrich gehörte zu den Gesamtschülern, die die Fragen an die fünf Kandidaten richtete.

Nina Langheinrich gehörte zu den Gesamtschülern, die die Fragen an die fünf Kandidaten richtete.

Foto: Busch Franz-Heinrich sen.

30 Sekunden wie beim Speeddating: So viel Zeit hatte jeder der Bundestagskandidaten, um sich gestern bei der Podiumsdiskussion in der Gesamtschule Nettetal vorzustellen. Das schaffte nicht jeder. "Oh, schon vorbei?", meinte etwa Jürgen Heinen, Kreisvorsitzender der Bündnisgrünen und Bundestagskandidat, mit Blick auf die unerbittlich verrinnenden Sekunden.

 Gespannt verfolgten die Jugendlichen aus den Jahrgängen elf bis 13 die Diskussion, die von den fünf Kandidaten volle Konzentration verlangte.

Gespannt verfolgten die Jugendlichen aus den Jahrgängen elf bis 13 die Diskussion, die von den fünf Kandidaten volle Konzentration verlangte.

Foto: F.H. Busch

Abgesehen von Andreas Bist (FDP), der sich aus beruflichen Gründen entschuldigen ließ, stellten sich (in alphabetsicher Reihenfolge) Kay Gottschalk für die AfD, Jürgen Heinen für Bündnis 90/Die Grünen, Christoph Saßen für Die Linke, Udo Schiefner für die SPD und Uwe Schummer für die CDU den unterschiedlichen Fragen der Schüler, die die Jahrgangsstufen 11 bis 13 besuchen. Nach dieser persönlichen Präsentation ging es an die politischen Inhalte. Und die wurden durchaus kontrovers und emotional diskutiert.

 Christoph Saßen für Die Linke.

Christoph Saßen für Die Linke.

Foto: Busch Franz-Heinrich sen.

Wen würden Sie zuerst besuchen und was würden Sie ihm sagen: Trump, Putin oder Erdogan?

 Udo Schiefner für die SPD.

Udo Schiefner für die SPD.

Foto: Busch Franz-Heinrich sen.

Dies war eine inhaltliche Frage, die die Spannungen zwischen den bisher im Bundestag vertretenen Parteien CDU, SPD, Bündnisgrüne und Linke sowie der AfD sofort deutlich zeigte. Kay Gottschalk machte für die AfD deutlich, dass ein Beitritt der Türkei zur EU für ihn nicht in Frage komme. Der bisherige Kuschelkurs dürfe nicht fortgesetzt werden. Er lehnte außerdem die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft ab. Besuchen würde er als nächsten Nachbarn zunächst Putin, dann US-Präsident Donald Trump, den er zur Mäßigung auffordern würde, und erst dann den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan. Uwe Schummer relativierte Gottschalks Äußerung: "Über einen Türkei-Beitritt entscheidet Deutschland nicht allein." Auch in der Türkei gebe es eine starke Demokratiebewegung. Schummer würde zunächst Donald Trump besuchen und an dessen Demokratie-Verständnis appellieren. Anders Udo Schiefner: "Ich würde mich in der Türkei mit Nachdruck für mehr Demokratie und die Freilassung politischer Gefangener einsetzen." Auch er schätze die Türkei zurzeit nicht als EU-Beitrittskandidat ein. Jürgen Heinen würde ebenfalls zuerst in die Türkei reisen: "Dort haben wir ein Riesen-Problem, das jeden Tag größer wird." Christoph Saßen gab ehrlich zu: "Was ich mit Putin machen würde, das weiß ich nicht." Trump und Erdogan wären seine Wunsch-Gesprächspartner.

 Uwe Schummer für die CDU.

Uwe Schummer für die CDU.

Foto: Busch Franz-Heinrich sen.

Wie würden Sie die Abwanderung vom Land verhindern? Udo Schiefner setzte auf gute Bildung, Jobs in Handwerk und Betrieben sowie ÖPNV: "Immer mehr 18- bis 25-Jährige verlasen den Kreis - und kommen nicht zurück." Auch das Land müsse attraktiv bleiben für junge Menschen, meinte Christoph Saßen. Zerfallende Städte wie in Ostdeutschland gelte es zu verhindern, etwa mit Investitionen in Bildung, Infrastruktur, ÖPNV. Kay Gottschalk sprach sich ebenfalls dafür aus, den ländlichen Raum zu stärken - mit ähnlichen Ideen wie seine Vorredner. Uwe Schummer nannte als Beispiel für Verkehrsinfrastruktur den Ausbau der Linie Kaarst-Venlo. Ebenfalls entscheidend: Bildungsmöglichkeiten und Ausbildungsplätze. Jürgen Heinen erinnerte an die Bedeutung der Digitalisierung und den Ausbau von schnellem Internet auf dem Land.

 Günter Heinen für Bündnis 90/Grüne.

Günter Heinen für Bündnis 90/Grüne.

Foto: Busch Franz-Heinrich sen.

Warum sind Sie der richtige Kandidat für Frauen? Uwe Schummer verwies auf Bildung und Forschung, die Schlüsselbereiche für die Zukunft seien. Dazu gehöre die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Jürgen Heinen betonte, dass Männer und Frauen im Beruf gleichgestellt werden sollten, auch bei der Bezahlung. Oft seien Frauen in niedrigeren Lohngruppen wie in der Pflege oder in Kitas tätig. Dies sei eine Aufgabe f+r die Tarifpartner. Für die Forderung nach Gleichberechtigung bei Gehältern habe es bisher noch keine politische Mehrheit gegeben. Udo Schiefner sah dies ähnlich: "Frauen verdienen das gleiche Gehalt wie männliche Kollegen." Wer hundert Prozent arbeite, dürfe nicht 21 Prozent weniger Gehalt erhalten. Christoph Saßen bedauerte, dass die Frage der Gleichberechtigung im Jahr 2017 überhaupt noch gestellt werden müsse. Seine Partei würde Jobs in der Pflege aufwerten. Die Work-Life-Balance sei ebenso wichtig wie ein Recht auf Feierabend statt Druck und ständige Erreichbarkeit. Kay Gottschalk warf seinen Diskussionspartnern vor, dass ihre Parteien bisher nichts getan hätten. Man könne jetzt nicht nach der Devise handeln ,Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass'.

 Kay Gottschalk, kandidiert für die AfD.

Kay Gottschalk, kandidiert für die AfD.

Foto: Busch Franz-Heinrich sen.

Wann sollten Jugendliche wählen dürfen?

 Thomas Christians war einer der Moderatoren der Diskussion, die Schülervertreter und Lehrer organisiert hatten.

Thomas Christians war einer der Moderatoren der Diskussion, die Schülervertreter und Lehrer organisiert hatten.

Foto: Busch Franz-Heinrich sen.

Kay Gottschalk war der einzige, der das Alter bei allen Wahlen wieder auf 18 Jahre heraufsetzen wollte. "Wer wählt, sollte auch für das Allgemeinwohl einstehen." Dies sehe er bei Jüngeren nicht. Die Vertreter von CDU, SPD, Bündnisgrünen und Linken wollten das Wahlrecht ab 16 schon für Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahl einführen.

Was halten Sie vom Numerus clausus (NC)?

Für Christoph Saßen hat "jeder das Recht auf eine freie Berufswahl", doch ein NC stehe diesem Recht entgegen. Zumal die Abiturnote in Fächern miteinfließe, die - wie etwa bei Medizin - wenig über die Eignung für das Fach aussage. Jürgen Heinen schränkte dies ein: "Mit dem NC sollen bestehende Plätze verteilt werden, doch das Konzept ist nicht ausreichend. Wir brauchen mehr Hochschulplätze in einzelnen Bereichen." Uwe Schummer machte einen weiteren Vorschlag: "Für Medizinstudenten sollte nicht nur die Abiturnote berücksichtigt werden. Sie sollten Bonuspunkte erhalten, wenn sie etwa Rettungssanitäter sind." Update: Auch Udo Schiefner sprach sich für die Schaffung weiterer Hochschulplätze aus. zudem könne das hollländische System zur Orientierung dienen.

(busch)
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