Nettetal Die mysteriöse Sprache der Kiependräger

Nettetal · Wenn Winfried Sieben ein Kompliment macht, klingt das so: "Ene knäbije Tuere." Mit einer Tür hat das nichts zu tun. Der 72-Jährige gehört zu den letzten Menschen in Breyell, die noch Henese Fleck beherrschen - die alte Geheimsprache der Kiependräger, ein außergewöhnliches Beispiel, wie Worte der Heimat klingen können.

 Sprechen wie einst die Kiependräger: Winfried Sieben und Hubertine Kreueles gehören zu den wenigen Breyllern, die noch die geheimnisvollen Worte der Händler beherrschen - und sie auch verwenden.

Sprechen wie einst die Kiependräger: Winfried Sieben und Hubertine Kreueles gehören zu den wenigen Breyllern, die noch die geheimnisvollen Worte der Händler beherrschen - und sie auch verwenden.

Foto: F.H. Busch

Seit den 90er Jahren ist Sieben Mitglied im Verein der Heimatfreunde "Henese Fleck" aus Breyell. 1938 gegründet, kümmert sich der Verein um die Historie des Ortes. Was den Mitgliedern stets wichtig war: ihr Wissen um das Krämerlatein, die fast vergessene Sprache der Kaufleute aus Breyell, zu bewahren und weiterzugeben. Im Jahr 1959 brachten einige Mitglieder etwa ein Heimatbuch heraus, das sich mit der sogenannten "schönen Sprache" beschäftigte. Darin waren Wortschatz, Lieder und Gedichte gesammelt.

Warum die Händler, die in großen Körben ihre Waren trugen und damit umherzogen, eine eigene Sprache entwickelten und benutzten: Sie wollten sich untereinander ungestört unterhalten - über gute Kunden, die besten Preise und vielleicht auch über schöne Frauen. Das konnten sie sogar im vollen Schankraum unbesorgt. Denn ihre Worte waren den meisten so fremd und unverständlich wie Latein, die Sprache der Gelehrten und der Kirche.

Zum Henese Fleck gehören unterschiedliche Bestandteile: Es gilt als verwandt mit dem Rotwelsch, enthält Begriffe aus dem Platt, aber auch eigenständige Worte. "Ohne Platt ist auch das Henese Fleck nicht zu verstehen", meint Winfried Sieben.

Eine weitere Besonderheit: Viele Worte erhalten ihre Bedeutung erst aus dem Zusammenhang, in dem sie verwendet werden. So kann "blaak" ebenso "glatt" wie "einig" bedeuten. "Knökele" kann "arbeiten" heißen, aber auch "flüssig" oder "schnell". Typisch seien Wortkombinationen. Tent bedeute "Haus". Ein Poytent (Wasser-Haus) sei ein Schiff. Ein Auto könne als Pempertschütt (Pempert = Brennstoff, Schütt = Wagen) bezeichnet werden. Für's Internet würde Sieben kein Wort bauen - das kannten die Kiependräger ja nicht. Wie eng die Geheimsprache mit der Heimat verbunden war, zeigen Bezeichnungen wie "henese Poy" für das große Wasser, den Rhein, und "locke poy", das kleine Wasser, für die Maas.

Mit seiner Begeisterung für die alte Sprache der Händler ist Winfried Sieben nicht allein. Auch Hubertine Kreuels (66), die seit 40 Jahren in Breyell lebt und viele als frühere Wirtin der Gaststätte Kreuels kennen, pflegt die Liebe zu den fast vergessenen Worten. "Es macht einfach Spaß - auch wenn es nicht einfach ist", sagt sie. Die Gesprächspartner, mit denen Kreuels und Sieben sich unterhalten können, sind selbst für das kleine Breyell überschaubar. Auf "zehn bis zwölf" schätzt Sieben ihre Zahl. Der jüngste ist 65, der älteste über 80.

In den Straßen und Gasträumen von Breyell ist Henese Fleck längst nicht mehr zu hören - wohl aber in Sprachkursen, die die Vereinsmitglieder regelmäßig anbieten. Und dort wird gebüffelt wie in jedem anderen Sprachunterricht, aber auch viel gelacht, sagt Hubertine Kreuels. "Wir fangen erstmal mit den Zahlen an. Das ist schon kompliziert. Zu den ganz hohen Zahlen kommen wir meist nicht", erzählt Winfried Sieben. Dann werden Sätze ausgetauscht, macher trage auch Gedichte oder Geschichten vor.

Was sich die beiden wünschen: "Dass unser Henese Fleck nicht in Vergessenheit gerät und dass auch andere Menschen Freude an dieser Sprache finden." Hubertine Kreuels hatte manchen Satz in der Gastwirtschaft aufgefangen, wollte mehr darüber wissen. Auch das Breyeller Heimatlied erinnert an die Geheimsprache der Kiegenträger. Dass Winfried Sieben sich einmal für die "schöne Sprache" begeistert, hat sich der gelernte Drucker lange nicht vorstellen können. "Mein Bruder wollte mir die Sprache immer beibringen; er beherrschte sie perfekt", erinnert er sich. Doch damals habe er kein Interesse gehabt. "Das kam erst später. Vielleicht muss man ein gewisses Alter erreicht haben", meint er.

Jetzt hofft Winfried Sieben auf Nachwuchs - etwa seinen Sohn (45) und seinen zehnjährigen Enkel. Auch wenn sie wohl noch nicht das passende Alter erreicht hätten, meint er schmunzelnd.

(busch)
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