Nettetal Eine Pionierin in Sachen Inklusion

Nettetal · Als erste Sonderpädagogin an der Gesamtschule Nettetal trug Hannelore Kleinikel dazu bei, gemeinsamen Unterricht von Schülern mit und ohne Handicap zu verwirklichen. Kurz vorm Ruhestand hält sie Rückschau

Nettetal: Eine Pionierin in Sachen Inklusion
Foto: Burghardt, Joachim (jobu)

Lang ist der Gang vorbei an den Klassenzimmern. Immer wieder kommen Schüler entgegen, grüßen freundlich, zwei Jungen winken, ein Mädchen klatscht die Dame mit dem kurzen Haar ab: Hannelore Kleinikel ist beliebt, wird geschätzt. Wobei die jüngeren Schüler wohl nicht einmal wissen, dass die Sonderpädagogin hier an der Städtischen Gesamtschule Nettetal in Breyell Pionierarbeit geleistet und die Integration von Schülern mit und ohne Behinderung mit aufgebaut hat. Bis jetzt. Es ist das letzte Schuljahr für Kleinikel.

"Als die ersten Kinder mit Behinderungen über den Schulhof kamen, haben manche Schüler und auch Lehrer noch verstohlen skeptisch geguckt", erzählt Kleinikel. Heute sei es eine Selbstverständlichkeit, dass Schüler mit und ohne Handicap, mit und ohne Förderbedarf zusammen lernen, gemeinsam die Pausenzeit verbringen, sich miteinander in Projekten und Arbeitsgemeinschaften einbringen.

Damals aber, im Jahr 2000, war dieser gemeinsame Unterricht ein Wagnis. Kleinikel und ihre Kollegen betraten Neuland, hatten manche Bedenken und Vorurteile zu überwinden. Letztlich mit Erfolg: Der Gesamtschule wurde mittlerweile der Titel "Starke Schule" verliehen zum Zeichen, dass sie bundesweit zu den Vorreitern gehört auch in Sachen Inklusion. Eine gehörige Portion dazu beigetragen hat Kleinikel.

"War schon ein gewaltiger Schritt, mich auf diese Sache einzulassen", gibt die Pädagogin zu, der man ihre 63 Jahre nicht ansieht. Diese "Sache", das war die Entscheidung der gestandenen Lehrerin aus Mönchengladbach, noch mal zu studieren, Sonderpädagogik nämlich, um danach einige Jahre in Förderschulen zu arbeiten. "Aber in Förderschulen werden Kinder mit Handicaps ausgegrenzt. Das ist nicht meine Vorstellung von pädagogischer Arbeit", erläutert sie.

Angetan hingegen war sie von der Idee, die ihr der damalige Gesamtschulleiter Roland Schiefelbein unterbreitete - Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam zu unterrichten. So wurde Kleinikel die erste Sonderpädagogin an der Schule in Breyell. "Aufklärung war gefragt, Beratung und viel Überzeugungsarbeit - auch bei Lehrern", schildert sie die Anfänge. Manch ein Behinderter pflegte die typischen Verhaltensmuster, wollte etwa ein Käppi tragen. Kleinikel konnte ihnen nahebringen, dass sie "normale Schüler" seien wie alle anderen - und sich nicht als Sonderlinge geben sollten. Umgekehrt musste sie die anderen überzeugen, ihnen erklären, warum alle Schüler gleich seien: "Wir alle sind Menschen mit unseren Eigenarten, jeder verdient Respekt. Egal ob er nun viel oder keine Unterstützung braucht."

Aus heutiger Sicht habe das insgesamt geklappt, eine "enorme Sozialkompetenz bei den Schülern" sei daraus erwachsen. In ihrer Rückschau nimmt sich die Sonderpädagogin bescheiden zurück. Inklusion sei keine Sache von Einzelkämpfern, Teamarbeit sei notwendig - Sonderpädagogen mit Schülern, mit Lehrern, mit Eltern: "Und ohne Unterstützung der gemeinnützigen Elterninitiative Kindertraum, die etwa unsere Integrationshelfer finanzieren, wäre diese Entwicklung kaum möglich gewesen."

Dann hat diese so fröhlich wirkende Frau einen ihrer nachdenklichen Momente, schaut ernst drein. Bis Inklusion selbstverständlich werde, sei es noch ein langer Weg: "Solange wir noch über Inklusion reden müssen, besteht Handlungsbedarf in der Lehrerausbildung wie in der Politik."

Einfluss nehmen auf diese Entwicklung, die sie in Breyell mit angestoßen hat, kann Kleinikel künftig kaum noch, weil sie bald in den Ruhestand geht: "Man wird doch manchmal eher müde", gesteht sie und weiß doch schon, was sie vermissen wird: "Mir werden all die jungen Menschen fehlen, die - ob mit oder ohne Handicap - oft so fröhlich daherkommen, die einen so freundlich und nett grüßen, einem zuwinken."

(jobu)
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