Tausende Freiwillige bieten Unterkunft Nachbarschaftshilfe für Flüchtlinge in Nettetal

Nettetal · Sie holen Asylbewerber aus ihrer Isolation und stehen ihnen zur Seite: Tausende Freiwillige bieten Unterkunft, Zeit und Zuwendung.

 Ein typischer Samstag bei Familie Zanders: Elisabeth Zanders (2. v. l.) und ihre Mutter Anneliese (2. v. r.) geben Brhane Weldemichael (l.), Abadit Tsege Keflit (Mitte) und Asmerom Abraham (r.) Deutschunterricht.

Ein typischer Samstag bei Familie Zanders: Elisabeth Zanders (2. v. l.) und ihre Mutter Anneliese (2. v. r.) geben Brhane Weldemichael (l.), Abadit Tsege Keflit (Mitte) und Asmerom Abraham (r.) Deutschunterricht.

Foto: Franz-Heinrich Busch

Der Tag, an dem Elisabeth Zanders eine Frau aus Eritrea zum Weinen brachte, hat das Leben vieler Menschen verändert. An jenem Tag sprachen die 46-Jährige und ihre Mutter (83) die fremde Frau vor einer Kirche in Nettetal an. Sie sprach nur gebrochen Englisch, erzählte mit Händen und Füßen, dass sie niemanden in Nettetal kenne, obwohl sie schon lange in einer Unterkunft in der Stadt lebte.

Dort wohne niemand aus ihrer Heimat. Niemand spreche ihre Sprache. Dann stiegen der Frau die Tränen in die Augen. "Ich hatte das Gefühl, dass sich zum ersten Mal seit langer Zeit jemand für diese Frau interessierte", sagt Elisabeth Zanders.

An jenem Tag wurde der 46-Jährigen bewusst, dass es für Flüchtlinge lebenswichtig ist, wahrgenommen zu werden. "Und die Sprache ist der Schlüssel dazu", sagt Zanders. Ohne Umschweife machte sie sich daraufhin mit ihrer Mutter ans Werk und bot der Frau aus Eritrea Deutschunterricht an. Heute, eineinhalb Jahre später, unterrichtet das Duo Flüchtlinge aus Eritrea und Pakistan.

Ein Job ist das für sie nicht. "Diese Menschen gehören zu unserer Familie, sie feiern mit uns Weihnachten und andere Feste", sagt Zanders. "Viele möchten einfach nur von ihren traumatischen Erlebnissen berichten, wie zwei Männer aus Pakistan, die mit dem Boot geflüchtet sind."

In vielen Städten in NRW fehlt es an geeigneten Unterkünften, die Flüchtlinge leben in Sporthallen oder sollen in einer Zeltstadt unterkommen. Ohne freiwillige Helfer wäre die Politik restlos überfordert. Doch es gibt diese Helfer. Etwa Bruno Kallen. Ihm gehört eine Obstplantage in Korschenbroich. Während der Saison leben dort Erntehelfer aus dem Ausland - im Winter stehen die Unterkünfte leer. Seit Mitte Oktober wohnen dort elf Flüchtlinge aus Syrien, Eritrea und dem Libanon.

"Das sind sehr ruhige und nette Menschen, die wirklich niemanden stören", sagt Kallen, der der Stadt sofort seine Hilfe zusagte. "Bedenken hatte ich keine. Ich arbeite doch seit 35 Jahren mit Menschen aus dem Ausland zusammen", sagt der 53-Jährige. Er hatte zunächst Sorge, dass sich die Nachbarn an den Gästen stören könnten. "Wir haben telefonisch und auch per E-Mail viele Reaktionen bekommen - alle positiv. Darüber hat sich unsere Familie sehr gefreut."

Das Leben im Asylbewerberheim Luisental in Mönchengladbach
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Als die Demütigungen und Misshandlungen in mehreren Flüchtlingsheimen im Land bekannt wurden, gab es viele Stimmen, die eine bessere Versorgung der Asylsuchenden und mehr Unterstützung forderten. Doch selbst aktiv zu werden, erfordert Courage und Mut. Davon berichtet Thomas Hellgrewe. Vor einem Jahr hat sich der 62-Jährige bei der Caritas Düsseldorf als freiwilliger Helfer gemeldet.

Gleich sein erster Fall war für ihn eine große Herausforderung: Eine albanische Familie mit drei Kindern, eines geistig und körperlich schwerbehindert, ein anderes kam mit offenem Rücken zur Welt. "Ich hatte große Bedenken", sagt Hellgrewe. Dennoch besuchte er die Familie in ihrer Unterkunft. Sie erzählte von der Entwicklung der Kinder, mit der es in ihrer Heimat stark bergab ging, von den medizinischen Problemen und den Schulden, die sie für die Behandlung aufnehmen mussten. Ihr letzter Ausweg war Deutschland.

"Niemand kann sich vorstellen, was diese Menschen durchmachen. Wenn ihnen hier auch noch Hass und Ablehnung entgegenschlagen, macht mich das sehr traurig", sagt Hellgrewe. Inzwischen ist der Rentner froh, sich der Herausforderung gestellt zu haben. Für ihn sei es seine Familie. Er begleitet sie ins Krankenhaus, aufs Amt, fungiert als Vermittler, wenn die Verständigung angesichts von Beamtendeutsch schwierig wird. "Es ist unglaublich, wie dankbar diese Menschen sind. Das Vertrauen in mich ist immens, und damit geht eine große Verantwortung einher", sagt Hellgrewe.

Dieser Verantwortung stellen sich Margarete Schröders und Barbara Langen bereits seit 25 Jahren. "Damals kamen die ersten Flüchtlinge nach Rheurdt und wurden in Sportlerheimen untergebracht", so erinnert sich Schröders. Dann passierte etwas Schlimmes: Ein Flüchtling wurde zum Krüppel geschlagen - "für uns war das der Startschuss", sagt die 62-Jährige. Seitdem helfen die Frauen Flüchtlingen bei alltäglichen Erledigungen. Dass manch einer Asylbewerbern nicht wohlwollend gegenübersteht, merken sie immer wieder - auch wenn sie finden, dass die Menschen schon sehr viel toleranter geworden sind.

Schröders warnt vor Verallgemeinerungen: "Flüchtlinge sind weder schlechtere noch bessere Menschen. Sie repräsentieren einen Querschnitt. Viele Vorurteile kann man durch persönlichen Kontakt abbauen." Das Schönste ist für sie, dass sie durch ihre Hilfe Menschen den Start in ein neues Leben erleichtert hat. "Einige junge Flüchtlinge, denen wir geholfen haben, gehen heute auf die Uni oder haben eine Ausbildungsstelle. Sie haben Erfolg" - sie brauchten nur einen Schubs in die richtige Richtung.

Misshandlungs-Vorwürfe: das Flüchtlingsheim in Burbach
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Foto: dpa, fg jhe

Für viele sei allein das Wissen darum, in Deutschland jemanden zu haben, dem sie nicht egal sind, eine Motivation. Und das ist keine Einbahnstraße - auch die Helfer blühen auf. Etwa Anneliese, die 83-jährige Mutter von Elisabeth Zanders. "Sie gibt alles bei der Arbeit mit den Flüchtlingen. Sie hat sich richtig reingehängt und noch mal die deutsche Grammatik gepaukt", erzählt ihre Tochter. Für ihre Schüler ist Anneliese Zanders "Mama".

(RP)
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