Nettetal So sehen Flüchtlinge ihr Leben in Deutschland

Nettetal · Die Psychologie-Studentin Carmen Lienen aus Lobberich zeigt Fotos, die für ihre Master-Arbeit "Flüchtlingskrise in Bildern" entstanden sind

 Carmen (25) hat für ihre Master-Arbeit an der Londoner Hochschule Flüchtlinge aus Nettetal und Erkelenz gebeten, ihre Lage mit einem Symbolfoto zu dokumentieren. RP-Foto: F.H.Busch

Carmen (25) hat für ihre Master-Arbeit an der Londoner Hochschule Flüchtlinge aus Nettetal und Erkelenz gebeten, ihre Lage mit einem Symbolfoto zu dokumentieren. RP-Foto: F.H.Busch

Foto: Lienen

Das Foto zeigt eine Reise ins Ungewisse. Bevor sich das Bahngleis in der Ferne verliert, teilt es sich. "Damit drückt ein geflüchteter Syrer seine Sorgen aus. Er weiß nicht, wie lange er in Deutschland bleiben kann, er hat keine sichere Perspektive", erklärt Carmen Lienen. Die Psychologie-Studentin aus Lobberich hat für ihre Master-Arbeit geflüchtete Menschen interviewt und hat sie ihre Hoffnungen und Ängste auf Fotos darstellen lassen.

Die Bilder zeigt Lienen ab heute im evangelischen Gemeindehaus in Lobberich: Die Ausstellung "Die Flüchtlingskrise in Bildern: Menschen mit Fluchterfahrungen erzählen, wie sie Deutschland erleben" ist eine Dokumentation aktueller Zeitgeschichte.

Angefangen hat alles im Ausland: "Während des Studiums in London und bei einem Praktikum in Toronto in Kanada bekam ich mit, wie positiv Deutschland beurteilt wird, weil es so viele geflüchtete Menschen aufgenommen hat", erzählt die 25-Jährige. Zurück in Deutschland habe sie eher Diskussionen erlebt, ob man nicht zu viele Flüchtlinge ins Land gelassen habe. "Mich beschäftigte aber immer mehr die Frage, wie geflüchtete Menschen selbst ihre Situation bewerten."

Lienen erzählt ruhig und selbstbewusst. Sie lächelt, sucht mitunter nach dem deutschen Wort für einen englischen Fachbegriff aus der Psychologie. Trotz aller Fachkenntnisse gibt sie zu, vor ihrer Ausstellungseröffnung "ein bisschen nervös" zu sein. Nach dem Abitur am Werner-Jaeger-Gymnasium und dem Bachelor in Psychologie in Würzburg begann sie mit dem Masterstudium an der renommierten Londoner School of Economics and Political Science (LSE) mit dem Schwerpunkt "soziale und kulturelle Psychologie. Mit dem Master-Studium ist sie im Herbst fertig. Danach will sie promovieren, später an einer Uni, bei einer Stiftung oder Nicht-Regierungs-Organisation weiter "zum Thema Migration forschen und arbeiten".

Schon in jungen Jahren engagierte sich Lienen zeitweise in der Nettetaler Flüchtlingshilfe. Über Ehrenamtler nahm sie nun für ihr Hochschul-Projekt Kontakt zu Flüchtlingen in der Stadt auf, zum Beispiel in der Unterkunft Majestic in Breyell. Und mithilfe des Kaldenkirchener Sprachlehrers Willi Wienen, der in Erkelenz geflüchtete Menschen in Deutsch unterrichtet, konnte sie auch dort forschen.

Abgesehen vom jeweiligen Status der Flüchtlinge - ob vorläufig geduldet, bereits als Asylbewerber anerkannt oder noch nicht - hatten die Befragten in Nettetal durch die sehr engagierte Flüchtlingsarbeit vor Ort ein anderes Bild von Deutschland als die Befragten in Erkelenz. Lienen: "In Nettetal hat sich sehr das soziale Gefüge, das Miteinander eingeprägt; in Erkelenz dagegen mehr die behördlichen Strukturen. Auf die Flüchtlinge dort wirkte alles etwas distanzierter."

Ähnlich hingegen war bei den Befragten in beiden Städten das Deutschlandbild aus wirtschaftspsychologischer Sicht: "Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, auch aufgrund des breiten Bildungsangebots, haben viele sehr beeindruckt."

Berührt war Lienen von so manchen der dokumentierten Einzelinterviews: "Als Psychologin weiß ich zwar mit intensiven Schilderungen von Schicksalsschlägen umzugehen, aber manches bewegte mich persönlich schon sehr." Details behält sie für sich; den beteiligten Flüchtlingen hat sie Anonymität zugesichert. Rund 20 Geflüchtete machten mit beim Forschungsprojekt, fotografierten mit ihren Smartphones Motive, die symbolhaft für ihre persönliche Befindlichkeit stehen. So zeigt ein Bild einen Stapel unbehandelter Hölzer, die auf ihre Bearbeitung warten. Auf einem anderen Foto sind verstreute Legosteine zu sehen: Symbole für die unsichere Zukunft mancher geflüchteter Menschen.

Zu den Bildern hat Lienen Zitate von den jeweiligen Flüchtlingen gesetzt. Beim Foto mit den Bahngleisen eines Syrers, dessen Aufenthalt in Deutschland zunächst bis November befristet ist, steht: "Ich weiß nicht, was in der Zukunft passiert."

(jobu)
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