Nettetal Stets erinnern, damit es "nie wieder" passiert

Nettetal · Die Gesamtschullehrerin Julietta Breuer wird mit dem von der Nettetaler SPD ausgelobten Hans-Hoeke-Preis ausgezeichnet, weil sie mit ihren Schülern das Schicksal jüdischer Mitbürger erkundet hat und gegen das Vergessen ankämpft. Ihre Arbeit will sie fortsetzen.

Weil sie einen "wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur in unserer Stadt geleistet" habe, ist die Oberstudienrätin Julietta Breuer mit dem erstmals vergebenen Hans-Hoeke-Preis ausgezeichnet worden. Der SPD-Ortsverein hatte ihn Anfang des Jahres zur Erinnerung an den im August 2014 verstorbenen Juristen und Kommunalpolitiker gestiftet. Hoeke leitete von 1981 bis zu seiner Pensionierung des Amtsgericht Nettetal und war fast 20 Jahre lang stellvertretender Bürgermeister in der Reulen-Ära.

Die Preisträgerin saß bei der Feier in der Stadtbücherei in der zweiten Reihe, umgeben von ihren beiden Kindern und einigen Schülern der Gesamtschule, mit denen sie sich in den vergangenen sechs Jahren auf Spurensuche in die deutsch-jüdische Vergangenheit begeben hatte, dabei besonders das Schicksal von Kindern im Auge habend.

Anstöße gegeben hatten 2008 eine Notiz über die Verlegung von Stolpersteinen, ein Vorschlag der Nettetaler Elterninitiative "Kindertraum" (deren Vorsitzender Ludger Peters stellte umfangreiches Material über die "Behandlung" von Kindern während der Herrschaft der Nationalsozialisten zur Verfügung) und der durch Deutschland fahrende "Zug der Erinnerung", der dazu aufforderte, sich mit den Schicksalen jüdischer Kinder zu befassen.

Die Schüler pickten sich den 1930 in Kaldenkirchen geborenen Erich Sanders heraus, dessen Weg in den Tod sie bis 1942 verfolgen konnten. Er wurde nach ihren Informationen mit seinen Eltern in das Konzentrationslager Litzmannstadt gebracht, wo diese an angeblich "natürlichen Krankheiten" starben. Als Waise kam er nach Chelmno (es gibt einen Anmeldezettel mit seiner Unterschrift). Dort musste er einen "Gaswagen" besteigen, die Leiche wurde im Wald verscharrt. An ihn erinnert ein Stolperstein vor dem Haus Bahnhofstraße 77, in dem die Familie gewohnt hatte.

Julietta Breuer hat sich für die Verlegung von Stolpersteinen in Nettetal eingesetzt. Vor allem hat sie im Unterricht die Vorgänge um die Breyeller Synagoge erarbeitet. Die Ergebnisse führten schließlich dazu, dass am 9. November 2013, dem 75. Jahrestag der Reichspogromnacht, ein Mahnmal an der Biether Straße unweit des damaligen Standortes errichtet werden konnte. Und sie fand offene Ohren in Hinsbeck mit dem Vorschlag einer Stele im Friedenspark, die an die Opfer der Euthanasie erinnert. Mit ihrer Arbeit leiste sie, lobte Renate Dyck, die Vorsitzende der SPD-Fraktion im Stadtrat, einen "wesentlichen Beitrag zu einem 'Nie wieder'".

Als Ansporn für die Fortsetzung ihrer Arbeit empfand die Pädagogin, die in Viersen lebt und ihre erste Anstellung an einer türkischen Schule in Istanbul hatte ("das waren aufregende und interessante Jahre"), die Auszeichnung. Sie war von der SPD-Spitze im Einvernehmen mit der Witwe Ulla Hoeke getroffen worden. In ihrer Dankadresse an viele Unterstützer und Spender nannte sie auch vier Namen: Pfarrer Andreas Grefen (Kaldenkirchen), Bernd Remmler (Breyell) sowie Ralf Hendricks und Peter Beyen vom VVV Hinsbeck. Sie freute sich, "dass Erinnerungskultur hier so wertgeschätzt wird", und versprach, das Preisgeld für künftiges Forschen mit ihren Schülern einzusetzen: "Eine Fahrt mit dem Linienbus nach Kempen ins Archiv ist so billig nun auch wieder nicht."

Musikalisch-literarisch wurde der Abend eingerahmt von der Cellistin Sylwia Kessels mit Kompositionen von Johann Sebastian Bach, Ernest Bloch und Wolfgang Amadeus Mozart und dem Buchhändler Fabian Matussek, der zwei Lieblingsgeschichten Hoekes vortrug: ein Kapitel aus der "Geschichte des Herrn Sommer" von Patrick Süskind und eines aus "Wagners Musikdrama Der Ring des Nibelungen im Lichte des deutschen Strafrechts" des fiktiven Autors Ernst von Pidde. Denn Hoeke war gemeinsam mit Hans-Jakob Pauly, dem (Klavier spielenden) früheren Leiter des Werner-Jaeger-Gymnasiums, ein "Fixstern am Nettetaler Kulturhimmel" mit dem musikalisch-literarischen Programm "Hoeke & Pauly".

Allerdings: Wie fern Hans Hoeke, der Übervater der Nettetaler SPD aus den 1970er- bis 1990er-Jahren, schon ist, machte Tanja Jansen klar: Die junge Vorsitzende des SPD-Ortsvereins kennt ihn nur vom Hörensagen. Und alte SPD-Barden erzählten seinen Enkelkindern, dass sie einst mit ihrem Opa Politik gemacht hatten.

(mme)
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