Nettetal Vor 50 Jahren: Lobberich wurde Stadt

Nettetal · Jahrzehnte hatte die Gemeinde darum gekämpft, sich "Stadt" nennen zu dürfen. Doch sechs Jahre später war alles wieder vorbei, als Lobberich in Nettetal aufging und sich nur noch als "heimliche Hauptstadt" fühlt.

 Ein Schmuckstück schon vor 50 Jahren: Die Burg Ingenhoven im Herzen Lobberichs.

Ein Schmuckstück schon vor 50 Jahren: Die Burg Ingenhoven im Herzen Lobberichs.

Foto: Busch

Der Regierungs-Mercedes mit dem Kennzeichen "RWL 3 - 2" trug Stander, als am Freitag, 7. August 1964, Willy Weyer vor dem Kino an der Von-Bocholtz-Straße vorfuhr: Der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen kam in offizieller Mission als Stellvertreter des Ministerpräsidenten Franz Meyers, um die "Stadt-Urkunde" zu überreichen. Genau einen Monat zuvor hatte die Landesregierung beschlossen, der Gemeinde Lobberich den Titel "Stadt" zu verleihen, weil sie sich "im Laufe der letzten 100 Jahre zu einem bedeutenden Industrieort entwickelt und die zum Wohle ihrer Bürger geschaffenen Einrichtungen städtisches Gepräge erlangt" habe.

Ganz plötzlich traf am 8. Juli im Rathaus am Marktplatz die Nachricht von Lobberichs Stadtwerdung ein. Damit wurden Bemühungen gekrönt, die fast 100 Jahre zurückreichten. Denn in den 1880er-Jahren startete Bürgermeister Theodor Stankeit die erste Initiative, Lobberich zur Stadt zu erheben. Seinerzeit ging die Einwohnerzahl explosionsartig hoch, weil sich die Gemeinde im Glanze des von Niedieck und de Ball hergestellten Samtes sonnte. Doch Preußen reagierte nicht.

Nach der Jahrhundertwende startete Bürgermeister Max Heckmann 1902 einen neuen Versuch. Er schilderte in einer kleinen Broschüre die Vorzüge Lobberichs, die gewiss mit der Bezeichnung "Stadt" belohnt werden sollten. Doch auch dieses Heft wurde zu den Akten gelegt. Als 1957 ein erneuter Antrag von der Landesregierung nicht gleich in der Schublade verschwand, sondern auf "Wiedervorlage" gelegt wurde, keimte in der "Seenstadt Lobberich", die sich in der Tourismuswerbung auch "Samt-, Seiden- und Sängerstadt" nannte, Hoffnung auf. 1963 kam gar Innenminister Weyer nach Lobberich, um sich umzuschauen. Doch es tat sich nichts.

Und nun ging alles Hals über Kopf, denn der Minister hatte Urlaubspläne. Mit nur 14 Tagen Vorlauf musste in Windeseile ein Programm für den Festakt im Astra-Theater zusammengestellt werden. Es klappte, der freudestrahlende Bürgermeister Hein Nicus nahm die Urkunde entgegen und hörte viel Lob aus des Ministers Mund: Lobberich habe es verstanden, "aus vielem ein Viel zu machen" und mit Krankenhaus, Progymnasium, Volksschule, Sonderschule und Säuglingsheim für die Bürger Einrichtungen geschaffen, die bei der vergleichsweise geringen Einwohnerzahl Respekt abnötigten.

"Wir haben uns alle gefreut, dass Lobberichs Herzenswunsch in Erfüllung gegangen ist", erklärte Gref-raths Gemeindedirektor Dr. Josef Müllenbusch, der dem berühmten Lobbericher Wind bescheinigte, dass er kein Windei gelegt habe. Gut betucht und wohl armiert gehe das "sangesfreudige und festesfrohe" Lobberich der Zukunft entgegen. "Wenn die junge Stadt jetzt nicht auf eine Stadtregion Lobberich hinaus will, dann wird das gute Verhältnis zu den Nachbargemeinden weiter bleiben", meinte er. Müllenbusch überreichte in deren Namen eine antike Leuchte, damit dem Ratssaal ein würdiger, stadtgemäßer Glanz und Schimmer verliehen werde.

Von Lobberich nicht mehr viel wissen wollten die Nachbargemeinden, nachdem am Nikolaustag 1966 Oberkreisdirektor Rudolf H. Müller ganz vorsichtig die Neuordnung der Gemeinden angestoßen hatte. Ab 1970 saßen sie alle im Boot der "Stadt Nettetal" - der Name war unspektakulär im Neuordnungsgesetz festgesetzt worden. In Lobberich fühlt man sich seither als "heimliche Hauptstadt" Nettetal und erträgt jeden karnevalistischen Spott.

(mme)
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