Nettetal "Wir Juden wissen, wie bitter Flucht ist"

Nettetal · Nettetal erinnerte an die Opfer des Nationalsozialismus mit einer Gedenkfeier in der Alten Kirche in Lobberich. Realschüler gestalteten eine eindrückliche Veranstaltung.

 Die Schienen auf dem Boden der Kirche führen direkt zum Bild mit dem Eingangstor zum Vernichtungslager Auswitz. Realschüler gestalteten eine symbolträchtige Gedenkfeier mit dem Blick in die Gegenwart.

Die Schienen auf dem Boden der Kirche führen direkt zum Bild mit dem Eingangstor zum Vernichtungslager Auswitz. Realschüler gestalteten eine symbolträchtige Gedenkfeier mit dem Blick in die Gegenwart.

Foto: Busch

Schienen sind aufgeklebt auf dem roten Teppich, der vom Eingang der Kirche zum Altar führt. Ihn ziert ein Banner mit vier Wörtern: "Weg sein? - Weg sein!" Dahinter setzen sich die Schienen fort auf einem Bild und führen ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, in dem die Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkrieges über eine Million Menschen, meist jüdischen Glaubens, umbrachten. Am 27. Januar jährte sich die Befreiung des Lagers durch die Rote Armee zum 71. Male. Die Realschule Kaldenkirchen gestaltete mit Schülern der 9. und 10. Klassen die Nettetaler Gedenkfeier in der Alten Kirche am Lobbericher Markt.

Während der Nazi-Herrschaft verschwanden jüdische Bürger aus unserer Mitte. Sie waren einfach weg. Manchen gelang tatsächlich noch die Flucht, viele wurden auf den langen Weg in die Konzentrationslager geschickt und dort getötet. Seit 20 Jahren ist der Auschwitz-Befreiungstag ein Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Seit vielen Jahren wird auch in Nettetal eine Gedenkfeier gestaltet, daran erinnerte Realschuldirektor Joachim Sczyrba. Seine Kollegen Timo Högel und Stefan Jansen haben mit dem Gemeindereferenten von St. Clemens Kaldenkirchen, Bernhard Müller, diese Stunde des Nachdenkens vorbereitet; sie bleibt nicht in der Vergangenheit, sondern endet im Hier und Heute.

"Mutter und Tochter" gehen auf dem Schienenweg und sprechen, mit Unterbrechungen durch Musik und Gedichte, einen Text des rumänischen Holocaust-Überlebenden und Friedensnobelpreisträgers Elie Wiesel: Es ist ein Weg in eine Fabrik mit Schornsteinen und Flammen, in der "mit der Unschuld der Welt ... die Geschichte und das Schicksal der Menschen" gemacht wird. Sie gehen nicht allein, wie viele Schuhpaare auf dem Schienenstrang symbolisieren. Und viele gingen vorher diesen Weg: Ihre Schuhe tauchen zum Berg aufgetürmt auf einem Bild nun auf.

"Sage nie, du gehst den allerletzten Weg" heißt es in dem von einem kleinen Chor gesungenen Partisanenlied von Hirsch Glick, eine Aufforderung zum Durchhalten, auch wenn "Gewitter das Blau vom Himmel" fegten.

Auf dem Schienenstrang stehen nun neue Schuhe, sie zeigen in Richtung Kirchenausgang. Da kommt wer. Es sind Menschen auf der Flucht vor Krieg und religiösem Fanatismus. Und so endet die Gedenkstunde mit einem Bekenntnis der jüdischen Gemeinschaft zu einer offenen Gesellschaft: "Gerade Juden haben in der Vergangenheit häufig die bittere Erfahrung von Flucht, Vertreibung und Emigration machen müssen." Auch die Flüchtlinge heute hätten Schlimmes durchgemacht: "Wer sollte denn mehr Verständnis für sie haben als wir Juden?"

Nach der Gedenkstunde legte Bürgermeister Christian Wagner einen Kranz an der Gedenktafel für die früheren jüdischen Bürger vor der Alten Kirche nieder.

(RP)
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