Nettetal Wo die Mammutbäume in den Himmel wachsen

Nettetal · Was als wunderliches Experiment in Kaldenkirchen begann, ist heute ein beliebtes Ausflugsziel: Auf der Sequoia-Farm können Besucher erahnen, wie unsere Landschaft vor Millionen Jahren aussah

 Die Farmgründer: Ernst J. und Illa Martin beim Einpflanzen von Bergmammutbaum-Sämlingen in extra angefertigten hohen Tontöpfen. Die Aufnahme entstand 1952.

Die Farmgründer: Ernst J. und Illa Martin beim Einpflanzen von Bergmammutbaum-Sämlingen in extra angefertigten hohen Tontöpfen. Die Aufnahme entstand 1952.

Foto: Martin

Eine Weltwirtschaftskrise, ein Weltkrieg, ein Waldbrand. Ein naturinteressiertes Zahnarztehepaar. Und natürlich eine gehörige Portion Glück. Ohne diese fünf Zutaten wäre es undenkbar, dass sich in Kaldenkirchen nahe der holländischen Grenze gigantische Mammutbäume bis zu 40 Meter hoch majestätisch in den Himmel erheben und die Besucher in stille Verzückung versetzen, ihre Blicke andächtig auf die riesigen Stämme gerichtet. 2000 Jahre können Mammutbäume problemlos alt werden - es sind die Lebewesen mit der höchsten Lebenserwartung.

Und sie waren schon einmal hier. Vor vielen Millionen Jahren bedeckten Mammutbäume weite Teile der nördlichen Erdhalbkugel. Bis ihnen eine Eiszeit den Garaus machte. An der Westküste der USA haben die mächtigen Küstenmammutbäume überdauert. 2000 Jahre alte Exemplare, die so dicke Stämme haben, dass Autos durchfahren können. Drive-Thru-Trees heißen die Bäume in Kalifornien.

Erik Martin, pensionierter Biologielehrer, ist 80 Jahre alt. Seine Eltern, das Zahnarztehepaar Illa und Ernst Martin, haben in den 1950er-Jahren im wörtlichen Sinn die Wurzeln der heutigen Sequoia-Farm gelegt. Sequoien nennen Botaniker die verschiedenen Mammutbaumarten. In Kaldenkirchen erheben sich Bergmammutbäume, Küstenmammutbäume, gar Urwaldmammutbäume. Die galten mal als ausgestorben. Bis 1941 im fernen China ein Exemplar entdeckt wurde. Und die Martins einen Setzling nach Kaldenkirchen holten.

"Als im Zweiten Weltkrieg die ersten Bomben auf Kaldenkirchen niedergingen, kaufte mein Vater dieses Grundstück - das war damals Heideland", berichtet Martin. So wollte der Zahnarzt, der während der Weltwirtschaftskrise in die USA emigriert war, seine Frau und die drei gemeinsamen Kinder schützen. "In den letzten Kriegsjahren haben wir tatsächlich einige Monate hier gelebt. Ich habe Baumhäuser gebaut", erinnert sich Martin. Ein großer Waldbrand fegte 1947 den Grenzwald fort, der damals großenteils aus Kiefern bestand. Martin setzte sich für die Wiederaufforstung ein. Nachdem eine Abordnung des Landtags selbst in einer Sanddüne feststeckte, flossen die Fördergelder. Roteichen wurden gepflanzt, dazu Windschutzalleen aus Robinien, Linden und Edelkastanien.

Auf seinem eigenen Grundstück aber setzte Martin auf ein besonderes Nadelgehölz: den Bergmammutbaum. Irgendwann Ende des 19. Jahrhunderts hatte schon einmal jemand zwei Exemplare in Kaldenkirchen gepflanzt.

Das Holz im Inneren knochenhart, die Stämme: gerade. Sollte es möglich sein, Mammutbäume wieder zu kultivieren? Die ersten Setzlinge kamen bereits an, als die Bundesrepublik noch gar nicht existierte - und wurden erstmal beim Zoll festgehalten. "Zum Glück hatte mein Vater durch seinen USA-Aufenthalt gute Englischkenntnisse, so dass er der britischen Besatzungsmacht verständlich machen konnte, was er mit den Setzlingen vorhatte", berichtet Martin. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützte das Zahnarztehepaar Anfang der 1950er Jahre bei seinem Experiment, die Farm zu einer Testfläche für Bergmammutbäume zu machen. Später kamen auch die Küstenmammutbäume hinzu. "Meinen Eltern ist es geglückt, eine verhältnismäßig winterharte Sorte zu ziehen", berichtet Martin. Rund 600 verschiedene Baumarten pflanzte das Zahnarztehepaar an. Als der Vater starb, suchte seine Mutter Käufer für das Grundstück. "Da kamen die Millionäre aus Düsseldorf und Köln, wollten hier eine Tennisanlage und dort einen Swimmingpool und da ihre Villa errichten. Für die Bäume interessierten die sich nicht." Weshalb seine Mutter dieses besondere Fleckchen Erde an das Land NRW verkaufte, für verhältnismäßig wenig Geld. Die Universität Essen nutzte es als Studiengelände. Später dann kauften es die Stadtwerke Nettetal für eine symbolische D-Mark.

Als Martin vor rund fünf Jahren einmal nachgucken kam, war aus der Farm ein ungepflegter Urwald geworden. "Rund 300 Arten waren verschwunden, erdrückt von den riesigen Mammutbäumen."

Sein Protest zeigte Wirkung: Ein Landschaftsarchitekt legte die ursprüngliche Farm wieder frei, seit gut drei Jahren kümmert sich ein gemeinnütziger Verein um Unterhalt und Pflege der Farm. Immer sonntags gibt's Führungen durch dieses besondere Stück Natur.

(mrö)
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