Die Kanzlerin in Neuss Proteste, Pfiffe und viel Beifall rund um Merkel-Besuch

Neuss · Etwa 1700 Menschen verfolgten Angela Merkels Rede in Neuss. Am Rande machten Hebammen und auch Mitarbeiter von Air Berlin auf ihre Job-Sorgen aufmerksam. Durch Beleidigungen und störende Pfiffe fielen aber andere, kleinere Gruppen auf.

Neuss: Angela Merkel wird von Air Berlin-Mitarbeitern empfangen
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Angela Merkel in Neuss: Proteste, Pfiffe und großer Jubel

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Foto: Tinter, Anja

"Wir sorgen uns um unsere Jobs, wir sorgen uns um unsere Zukunft", sagte Kapitän Andreas Leicher aus Langenfeld. Deshalb hatten sich der 60-Jährige und rund 80 seiner Kollegen "ganz spontan" zum Besuch der Merkel-Rede verabredet. In Uniform oder mit Piloten-Mütze bildeten die Beschäftigten der insolventen Fluglinie, deren Zukunft weiter ungeklärt ist, einen auffälligen Pulk im prall gefüllten Jupiter-Saal des Swisshotel.

"Wir Beschäftigten wurden völlig im Unklaren gelassen, während sich die Geschäftsführung und die Politik schon zu Gesprächen traf", sagte Leicher. Als Beleg verteilten die Mitarbeiter ein Schreiben des Bundesverkehrsministeriums, in dem mehr als 20 Gespräche verschiedener Bundespolitiker mit Vertretern von Air Berlin, der Lufthansa oder Air Berlin-Aktionär Etihad seit Anfang März 2017 aufgelistet sind. "Die Insolvenz kam nicht plötzlich, sie war geplant und wir müssen es jetzt ausbaden", sagte eine Flugbegleiterin.

Neuss als Treffpunkt eines spontanen Protests habe sich angeboten. "Hier ist die Heimat von Air Berlin, hier sind viele Kollegen stationiert", sagt Leicher, der erst am Morgen von einem Langstreckenflug aus New York zurückkehrte.

Hebammen sammelten 116.000 Unterschriften

Auch eine andere Berufsgruppe nutze Merkels letzten Wahlkampf-Auftritt in NRW vor der Bundestagswahl am Sonntag, um auf Missstände und Probleme aufmerksam zu machen. "Frau Merkel, Mütter brauchen Hebammen!", stand auf den Schildern, die auf die unsichere Versicherungslage freiberuflicher Hebammen hinweisen wollten.

Die Hebammenschülerinnen Kea Jacobs und Lina Pauling die Heimreises waren eigenes aus dem ostfriesische Leer angereist. Sie konnten der Kanzlerin eine von 116.000 Menschen unterzeichnete Petition mit Forderungen ihres Berufsstandes übergeben, und hören von Merkel Zustimmendes - und die Zusicherung, dass sich Gesundheitsminister Hermann Gröhe um ihr Anliegen kümmert.

Die Proteste blieben allesamt ruhig und friedlich. "Wir wollen keinen Krawall machen, sondern einfach nur Präsenz zeigen", sagte Air Berlin-Kapitän Leicher schon vorher. So kam es letztlich auch – anders als vor dem Veranstaltungsgebäude. Rund um die Rheinallee hatten sich etwa 50 Menschen aus verschiedenen Gruppen versammelt, um gegen den Merkel-Besuch zu demonstrieren.

Nachdem die Kanzlerin um 18.45 Uhr am TÜV-Gelände aus ihrem Helikopter gestiegen und wenige Minuten vor dem Hotel vorfuhr, wurde sie aus dieser Gruppe heraus mit Trillerpfeifen und Sprechchören empfangen. Auf Plakaten wurde die Kanzlerin als "Vampir" bezeichnet oder mit Kopftuch abgebildet. "Merkel muss weg" oder "Hau ab", rief die überschaubare Menge in Richtung der geschlossenen Hoteltüren.

"Wir haben keine Stimmen zu verschenken"

Viel mitbekommen haben dürfte Merkel davon jedoch nicht. Nur wenige Sekunden brauchte sie, abgeschirmt von Sicherheitskräften, vom Gang aus ihrem Auto ins Hotel. Anders als noch am Nachmittag in Hessen, ging es für Merkel in Neuss nicht auf einen zentralen, öffentlichen Platz, sondern in einen geschützten Kongress-Saal. Dort empfingen gegen 19.15 Uhr rund 1700 Menschen die CDU-Spitzenkandidaten mit langanhaltendem Applaus – eine Ausnahme dürften vor allem die Piloten und Hebammen gebildet haben.

Auf sie ging die Kanzlerin in ihrer folgenden, rund 45-minütigen Ansprache nicht weiter ein. Stattdessen sprach sie über innere Sicherheit ("Hochachtung und Dankbarkeit für Polizisten"), Digitalisierung ("eine große, wichtige Herausforderung, die verstärkt angegangen wird") und die außenpolitischen Konflikte (von "enttäuschenden" EU-Austritt Großbritanniens und dem Säbelrasseln zwischen den USA und Nordkorea, "für das es nur eine friedliche Lösung geben kann").

Um Punkt 20 Uhr beendete Merkel ihre Rede mit einer eindringlichen Aufforderung, "am Sonntag keine Stimme zu verschenken". Nur Minuten später saß Merkel schon wieder in ihrer gepanzerten Limousine auf dem Weg zum Helikopter. Noch am Abend ging es für die Kanzlerin zurück nach Berlin.

(cbo)
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