Neuss Anonyme Alkoholiker helfen sich seit 40 Jahren

Neuss · Die Gruppe in Neuss ist für viele Alkoholkranke ein wichtiger Rückhalt im Kampf gegen die Sucht. Am Samstag feiern sie runden Geburtstag.

Sie erinnern sich alle an ihre furchtbare Angst und das entsetzliche Schamgefühl bei ihrem ersten Besuch. Mittlerweile kommen Petra, Rainer, Helga, Günter und Gisela regelmäßig zur Neusser Gruppe der Anonymen Alkoholiker (AA). Denn sie wissen: Hier finden sie Halt. Hier sind andere, die ständig gegen den Rückfall kämpfen. Hier schwindet der Drang zu trinken, wenn andere Alkoholiker von ihren Problemen erzählen.

"Zu uns kann jeder kommen, der den Wunsch hat, mit dem Trinken aufzuhören", sagt Rainer. "Trocken zu sein" ist keine Voraussetzung. "Ich war bei meinem ersten AA-Treffen sturzbesoffen", erzählt Petra. Zu groß sei ihr Schamgefühl gewesen. Bereits mit 14 Jahren hat sie angefangen, regelmäßig zu trinken. "Ich war dann lockerer und wurde mehr anerkannt." Und der Alkohol habe ihr geholfen, mit persönlichen Verletzungen besser umzugehen.

Unmengen an Wein, Sekt und Likör trank sie täglich. "Trotzdem war niemandem in meinem Umfeld meine Krankheit aufgefallen, nicht einmal meinem Mann", so Petra. "Ich habe immer super funktioniert." Das sei ein typisches Phänomen bei Alkoholikern, sagt Rainer: "Sie sind die besten Schauspieler."

Erst eine Psychologin erkannte Petras Sucht und schickte sie zu den AA. "Ich konnte zwar nicht von jetzt auf gleich mit dem Trinken aufhören, aber durch meine Besuche hier wurde mir klar, ich muss entziehen." Den Entzug zog sie alleine durch, während sie weiter arbeitete. "Drei Monate lang war ich richtig krank." Nachdem sie auch ihren Chefs von ihrer Krankheit erzählte, ging es bergauf: "Ich musste nichts mehr verbergen." Seit 2010 hat sie keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt und geht regelmäßig zur AA-Gruppe. Wenn sie zu Wort kommt, ist immer ihr erster Satz: "Ich heiße Petra, ich bin Alkoholikerin."

Es sei keine Pflicht, so seine Statements zu beginnen, erklärt Rainer. Trotzdem befolgen sie alle dieses Ritual. "Wenn ich das nicht aussprechen kann, kann ich mich auch nicht zu dieser Krankheit bekennen", hat Petra für sich erfahren. Im Schutz der Anonymität und im Gespräch mit anderen Betroffenen erzählen sie offen von ihrer Sucht.

So wie Gisela, die schon als Jugendliche mehr getrunken hat als andere. "Ich habe immer bis zum totalen Absturz getrunken. Das konnte auch über eine Woche andauern", sagt sie. Als sie dann auch noch Kontakt zur Drogenszene hatte, wurde ihr bewusst: "Wenn ich so weitermache, verliere ich alles: Freunde, Arbeit, Wohnung." Seit 1989 ist sie trocken und berichtet begeistert: "Seitdem hat sich mein Leben entscheidend verändert. Ich leide nicht mehr, bin mir selbst etwas wert und habe gelernt, Probleme anders anzugehen. Der Durst aber bleibt."

Auch Rainers Leben hat sich seit seinem Entzug vor acht Jahren entscheidend verändert. Jahrzehnte hat er getrunken. "Ohne Alkohol ging nichts mehr." Seine Frau geriet dabei in die Co-Abhängigkeit. "Sie hat nicht getrunken, aber meine Alkoholsucht unterstützt, indem sie andere belogen hat, Flaschen besorgt oder entsorgt hat. Hauptsache, die Fassade blieb erhalten." Erst als er beruflich Probleme hatte und sein körperlicher Verfall sichtbar wurde, suchte er Hilfe. An seinen ersten Besuch der Selbsthilfegruppe erinnert er sich noch gut: "Alkoholsucht ist ein Stigma, ein Makel. Sich dazu zu bekennen, ist der wichtigste Schritt."

(NGZ)
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