Neusser Anschlagsopfer "Ich wurde komplett durch die Bude gedrückt"

Neuss/Berlin · Hinweise gab es schon früh, doch erst am Dienstagabend verdichteten sie sich zur Gewissheit: Unter den Opfern des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt waren auch zwei Neusser.

Berlin: Tag 1 nach dem Anschlag 2016 auf einen Weihnachtsmarkt
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Berlin am Tag nach dem Anschlag

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Foto: REUTERS/Pawel Kopczynski

Die Reise nach Berlin war ein Geschenk für die Mutter, doch sie wurde zum Horrortrip. "Wir rechnen mit dem Schlimmsten", sagt ein 40-jähriger Neusser, der zu den Opfern des Berliner Anschlags gehört und schwer verletzt in einem Krankenhaus der Hauptstadt behandelt wird. Auch 24 Stunden nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt war es ihm und seinem nach Berlin geeilten Vater nicht möglich, Gewissheit über das Schicksal der Mutter beziehungsweise Ehefrau zu gewinnen. "Aber ich habe ja gesehen, was mit ihr passiert ist", sagt der Sohn.

Für Mutter und Sohn ist es schon eine schöne Tradition: Kurz vor Weihnachten geht es nach Berlin. Geschichte schnuppern, Museen besuchen. Die Reise in diesem Jahr war die dritte, die der Sohn seiner Mutter schenkte - und sie hätte am Dienstag mit der Rückreise enden sollen. "Wir wollten auf dem Weihnachtsmarkt noch einen Absacker trinken", berichtet er; deshalb machten es sich beide am Montag in einer Glühweinbude gemütlich.

"Komplett durch die Bude gedrückt"

Was dann passierte, sahen beide nicht - aber sie hörten es. "Es klang wie das leise Knallen von Feuerwerkskörpern, das schnell näherkam", erinnert sich der Neusser. Dann sei der Lastwagen des Attentäters regelrecht durch die Glühweinbude hindurchgerast. Der 40-Jährige wurde von dem Lastwagen erfasst und, wie er sich erinnert, "komplett durch die Bude gedrückt". Aber er hatte Glück. Er erlitt zwar mehrere Beckenbrüche, überstand den Anschlag aber ansonsten unversehrt. "Das wird schon wieder. Ich habe einfach Schwein gehabt."

Der daheim gebliebene Vater hatte sich rasch bemüht, mithilfe der Polizei das Schicksal von Frau und Sohn zu klären. Nach Information unserer Redaktion hatten sich bereits am Montagabend, keine zwei Stunden nach dem Anschlag, Angehörige bei der Polizei gemeldet. Auf Anfrage bestätigte Landrat Hans-Jürgen Petrauschke als Chef der Kreispolizei am Dienstag, dass mit Bezug auf die Berliner Todesfahrt eine Vermisstenanzeige eingegangen sei. Darüber habe man das Bundeskriminalamt informiert. Die Neusser Polizei helfe nun bei der Identifizierung, die Klarheit bringen müsse.

Aus Sicht der Betroffenen geht das alles viel zu langsam. "In Ungewissheit darüber, wie es der Mutter geht", so der Sohn, habe sich der Vater ebenso an die Polizei in Neuss gewandt wie an die Berliner Behörden - ohne Ergebnis. "Wir haben sogar die extra eingerichtete Angehörigen-Hotline angerufen", sagt der 40-Jährige. "Aber wir warten noch immer auf Antworten."

(-nau)
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