Anna Lisa Grebe Und Joachim Berger Auf der Bühne muss man vorausdenken

Neuss · Zum Internationalen Theatertag heute erzählen zwei RLT-Schauspieler, wie sie mit Texten umgehen - und was bei Hängern passiert.

 Joachim Berger und Anna Lisa Grebe.

Joachim Berger und Anna Lisa Grebe.

Foto: Helga Bittner

Gibt es Tricks, um als Schauspieler die vielen Texte erst zu lernen und dann abzurufen? Joachim Berger (56) und Anna Lisa Grebe (28) schauen sich an. Erst etwas ratlos, dann lachen sie.Joachim Berger, seit 34 Jahren auf der Bühne, davon fünf am RLT, gibt die Frage an seine junge Kollegin weiter, die seit einem Jahr zum Ensemble gehört. "Hast du Tricks auf der Schauspielschule gelernt?"

Anna Lisa Grebe In meiner Ausbildung am Max-Reinhardt-Seminar in Wien lebte ich in einer Wohnung, deren Küche einen breiten Streifen von schwarzen Fliesen hatte. Ich habe darauf mit Kreide die Texte geschrieben. So habe ich dann in der Küche immer an den jeweiligen Stellen, an denen ich gerade stand, die Texte gelernt, die ich vor mir sah. Das war gut!

Also suchen Sie jetzt die Wohnung danach aus, ob sie schwarze Fliesen hat?

Grebe (lacht) Nein, das nicht, aber es hilft mir immer noch, wenn mich Texte an verschiedenen Orten umgeben. Ich bin ein visueller Typ, auch bei Texten, kann auch bei Büchern genau sagen, ob eine Passage im oberen Teil oder unten zu finden ist.

Sind Sie auch ein eher räumlicher Leser, Herr Berger?

Joachim Berger In gewisser Hinsicht schon. Als Schauspieler bewegt man sich in Räumen, und ich weiß genau: Wenn ich nach diesem Stuhl greife, muss ich diesen Text dazu sagen. Im Idealfall stellt das, was man als Schauspieler tut, eine Abfolge von körperlicher Aktion und sprachlicher Gestaltung dar. Das emotionale Gedächtnis kommt dazu, weil man einen Satz, einen Ablauf mit einem emotionalen Kontext und einer Bewegung im Raum verbindet. Da findet ein sehr komplexes Erinnern statt.

Sie gehören zu zwei verschiedenen Generationen. Hat sich was geändert im Aneignen von Texten?

Berger Das glaube ich kaum. Denn die Arbeit mit Texten gehört zur Grundvoraussetzung der Ausbildung: Alles, was man spielt, besteht erst mal aus Texten.

Grebe Das stimmt, das ist immer noch so.

Wie holt man sich den Text aus dem Kopf, den man gerade spielen muss? Hat da jeder seinen eigenen Kniff?

Berger Für mich hat das mit der Genauigkeit der Vorarbeit zu tun ...

Grebe Ja!

Berger ... wie bei "Baumeister Solness", um ein Bespiel zu nennen. Ich fand es richtig beglückend, dass nach einer zweimonatigen Pause bei der Wiederaufnahmeprobe alles sofort wieder da war. Das hat man natürlich nicht immer: Wenn viel los ist, viele Figuren dabei sind, die Grundsituation dadurch komplizierter ist. Wenn man in komplett anderen Räumen spielt ....

Bei Abstechern zum Bespiel.

Berger Ja. Da gibt es manchmal wirklich Räume, die den Rhythmus etwas durcheinanderbringen. Da steht man unter Umständen für einen Moment desorientiert auf der Bühne, auch wenn man vorher seine Bühnenbegehung gehabt hat. Damit trotzdem alles klappt, muss man immer vorausdenken: Jetzt passiert das, dann muss ich dies sagen. Aber man muss natürlich im Fluss des Geschehens bleiben. Grebe Das da immer noch für ein ganzes Schiff dranhängt! Es ist ja nie einfach nur ein Monolog, sondern während meines Textes bereiten sich andere Kollegen schon auf etwas weiteres vor.

Wie wichtig ist das Stichwort? Berger lehnt sich zurück und lacht herzhaft. Und wissend.

Berger Sehr wichtig!

Grebe Aber es geht dabei gar nicht um das Auswendiglernen auf ein bestimmtes Stichwort hin, sondern auf Sinn und Inhalt. Aber wenn Wortwechsel schnell sind, ist das Stichwort wichtig - wenn das letzte Wort nicht kommt, gibt es wieder so eine Rhythmusverschiebung, die irritiert.

Berger Es gibt auch Dinge wie: Ein Kollege setzt die Pause plötzlich anders. Oder verlängert sie ...

Grebe lacht laut auf. Berger ... und dann fragt man sich: Hat er den nächsten Satz vergessen, hängt er jetzt oder macht er die Pause bewusst? Dann wartet man, aber weiß auch irgendwann: Jetzt muss ich.

Der Zuschauer wird ganz plötzlich in der Wirklichkeit geholt, wenn er bei einem Hänger auf der Bühne die Souffleuse von der Seite hört ... Was macht das mit Ihnen auf der Bühne?

Berger Zum Theaterspielen gehört immer eine hohe Spannung ...

Grebe ... eine Wachheit!

Berger ... und Körperspannung, man ist gepolt auf Interaktion. Ich weiß auf den Moment: Wenn in einem bestimmten Zeitraum nichts kommt, muss ich den Satz sagen. Auch wenn die Zuschauer merken, dass jemand hängt und wirklich kämpft, ist das ein Moment allerhöchster Anspannung und Ausdrucksfähigkeit.

Grebe gluckst und lacht. Immer wieder. Und kommentiert Bergers Worte begeistert mit einem langen "Jaaa!"

Berger Während m an selbst denkt: Oh, da ist was in die Hose gegangen, empfindet der Zuschauer das unter Umständen als spannend. Man könnte auch sagen: Der Zuschauer sieht in diesem Moment, dass wir arbeiten, und dass mit Hilfe der Souffleuse diese Arbeit gerettet wird. Wir machen da ja was Gemeinsames, auch mit dem Zuschauer.

Haben Sie denn schon mal einen richtigen Hänger gehabt?

Grebe (lacht) Ich war noch in der Schauspielschule. Ich stehe auf der Bühne, höre ein Satz. Höre ihn noch einmal. Und noch einmal. Und noch einmal. Und denke: Das war meiner! Sage ihn zum vierten Mal - und erst dann ging es weiter.

Berger Ich habe als Schauspieler in "La clemenza di Tito" Mozart in Kassel mitgemacht. Da gab es den Satz: "Denn mehr als seinen Zorn fürchtete sie Titus' Güte". Und ich habe gesagt: "Denn mehr als seinen Zorn fürchtete sie Titus' Tüte." In dem Moment dachte ich nur: Habe ich gerade Tüte gesagt? Erst fing das Orchester an zu lachen, dann der Chor und dann ich. Danach rief mich der Inspizient eine Zeit lang mit den Worten, Herr Berger möchte die Tüte haben, zur Bühne zu kommen.

Alle lachen. Vorhang.

H. BITTNER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(NGZ)
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