Neuss Beim Stunk ist viel Mitdenken angesagt

Neuss · Das Theater am Schlachthof präsentiert in der Wetthalle bitterböse Satire auf die Welt - über rund dreieinhalb Stunden.

 Jens Kipper machte den Donald Trump. Sabine Wiegand hatte dafür Van Halens Song "Jump" passenderweise schlicht zu "Trump" umgedichtet. Franziska Lehmann (r.) und Sabine Weigand sind seine "Tanzmäuse".

Jens Kipper machte den Donald Trump. Sabine Wiegand hatte dafür Van Halens Song "Jump" passenderweise schlicht zu "Trump" umgedichtet. Franziska Lehmann (r.) und Sabine Weigand sind seine "Tanzmäuse".

Foto: Jagna Witkowski

Stunk - das ist eigentlich diese Mischung aus Musik, Comedysketchen, Lokalkolorit, Kabarett und ein bisschen Karneval. Doch dieses Mal nicht. In Zeiten, in denen in Amerika ein unberechenbarer Präsident gewählt wird, in der Türkei ebenso wie in anderen europäischen Ländern die Staatschefs diktatorische Züge haben und in Deutschland die Rechte immer stärker wird, kann der Stunk, geschrieben von Kabarettisten wie Martin Maier-Bode, Jens Neutag und Sabine Wiegand, nicht sein wie immer. Und so ist die aktuelle Version "Killeputsch - Die Session frisst ihre Kinder" sehr viel bissiger und ernster als ihre Vorgänger. Das zieht sich durch bis zur Abmoderation von Harry Heib mit dem Appell, wählen zu gehen - und der Ermahnung, "nach dieser kleinen Horrorvision keinen Quatsch zu wählen".

 Dat Rosi alias Sabine Wiegand forderte beeindruckend "Respekt" (Aretha Franklin) ein und sorgte für ersten Höhepunkt des Stunk.

Dat Rosi alias Sabine Wiegand forderte beeindruckend "Respekt" (Aretha Franklin) ein und sorgte für ersten Höhepunkt des Stunk.

Foto: Jagna Witkowski

"Diese Horrorvision" - das ist die Rahmengeschichte des Stunk: Die AfD hat die Landtagswahl in NRW gewonnen, Marcus Pretzell ist Ministerpräsident, Frauke Petry seine "Germania" und als Ministerin mit der Aufgabe betraut, dem bunten Karneval den Garaus zu machen. Das klingt lustig, ist es aber nicht. Vor allem, wenn da Sätze fallen, die wie gemacht für die AfD klingen, aber aus der CSU (Seehofer), der SPD (Oppermann) oder von den Linken (Wagenknecht) stammen. Und bitterböse wird es, wenn Petry (Ilva Melchior) und Pretzell (Jens Kipper) Frl. Menkes fröhliches Tretboot ("... in Seenot") schadenfroh in ein "Schlauchboot in Seenot" verwandeln. Sabine Wiegand, die beim Stunk die Songs auswählt und ihnen neue Texte gibt, zeigt sich nicht nur in diesem Fall als glänzende Satirikerin.

 Stunk ohne Heinz Allein, der Unterhalter? Geht nicht. Harry Heib besingt in seiner Paraderolle seine Heimat "Glehn" auf den Song "Fame"

Stunk ohne Heinz Allein, der Unterhalter? Geht nicht. Harry Heib besingt in seiner Paraderolle seine Heimat "Glehn" auf den Song "Fame"

Foto: Jagna Witkowski

Verschnaufpausen im Mitdenken gibt es wenig. Selbst die Urgesteine des Karnevals, Piffel und Poffel, sind nicht immer nur "zusammen lustig", wie ihr Schlagwort lautet, sondern denken sogar nach: über Petrys freudlose Kindheit ohne jedes Karnevalsgedöns. Ihre Lösung, die verkniffene Politikerin aus ihrem Korsett zu befreien, ist so einfach wie genial: Sie stecken ihr ein Kamelle in den Mund. Petrys anfängliche kindliche Seligkeit ob dieses "süßlichen Lutschelements" hält leider nicht an. Auch Ruhrpott-Ikone Dat Rosi (Sabine Wiegand) passt sich an, hat ihren Auftrittssong "Hab die Haare schön" verscherbelt: an Donald Trump natürlich.

 Dennis Prang regte sich als "Jesus" so richtig darüber auf, was in seinem Namen alles geschieht.

Dennis Prang regte sich als "Jesus" so richtig darüber auf, was in seinem Namen alles geschieht.

Foto: Jagna Witkowski

Der ist sowieso allgegenwärtig, seine Verkörperung ein gefundenes Fressen für eine Rampensau wie Jens Kipper, der den US-Präsidenten genau am Tag seiner Amtseinführung als in jeder Hinsicht unterbelichtet präsentiert. Wie gut passt dazu auch Rosis Erlebnis mit Ehemann "Mamfred", der Politiker werden will, mit eigener Partei: Mamfreds Mettigelpartei Deutschland, MMPD. Er lässt erst davon ab, als er von Rosi erfährt, dass Politiker keine Bezahlung bekommen, sondern Diäten ...

 Piffel (Dennis Prang, r.) und Poffel (Jens Kipper) verpassen Frauke Petry (Ilva Melchior) eine Kamelle.

Piffel (Dennis Prang, r.) und Poffel (Jens Kipper) verpassen Frauke Petry (Ilva Melchior) eine Kamelle.

Foto: Jagna Witkowski

Mit Rosi und auch Carolin Stählers Auftritt als Frau Zwonkowski und Franziska Lehmann in vielen kleinen Rollen kommt der Stunk endlich auf die gewohnte Betriebstemperatur. Winnetous Auftritt in den ewigen Jagdgründen, über den die fabelhafte Dee Band die einschlägig bekannte Filmmusik wie einen leichten Präriewind wehen lässt, fügt sich da nahtlos ein. Überhaupt ist das der Auftakt zu einer Folge von kabarettistischen Szenen, die vor allem der zweiten Hälfte einen Höhepunkt nach dem anderen verschaffen. An der Spitze steht dabei der "Nationale Songcontest der autokratischen Präsidenten", kurz: NSDAP, in der Türkei, für den Wiegand böse Elogen auf die jeweiligen Herrscher auf Abba-Songs getextet hat. Gelungene Szenen wie diese legen auch die Schwächen an anderer Stelle bloß. So wirkt die Szene mit dem "Trödeltrupp im Bundestag" arg bemüht, sie taumelt gar manches Mal am Rande der Geschmacklosigkeit. Auch die "Rathauskantine", das Neuss-bezogene Kabarettformat des TaS mit Dennis Prang als Jupp Schwaderath und Jens Spörckmann als Alfred Sülheim, bleibt blass - wie die Neusser Politik? Muss wohl so sein angesichts der weltweiten Veränderungen, denn so wenig Neuss war noch nie beim Stunk.

(hbm)
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