Besuch auf der Autobahnbaustelle Baggern am Abgrund

Autofahrer finden Baustellen lästig, für die Bauarbeiter ist das Arbeiten am Fahrbahnrand mitunter sehr gefährlich. Ein Baustellen-Bericht von der A57 am Kreuz Neuss-Süd.

Es ist laut. So laut, dass man beim Reden sein eigenes Wort fast nicht verstehen kann. Keine zwei Meter neben mir brettern schwere Lkw und Autos in die Abfahrt am Kreuz Neuss-Süd auf der A57. Ich fühle den Luftstoß, wenn ein 40-Tonner vorbeifährt, und gehe sicherheitshalber einen Meter weiter weg vom Fahrbahnrand. Die Autos fahren eigentlich nur Tempo 60. Mir kommt das trotzdem unheimlich schnell vor.

"Wenn ich länger auf der Baustelle zu tun habe, trage ich Ohrenschützer”, sagt Erich Ruelfs (52) von Straßen.NRW. Er arbeitet seit 1991 beim Landesstraßenbetrieb. Davor war er Steiger in der Zeche Kamp-Lintfort. Heute ist er mein Bauleiter. Ich will wissen, wie es ist, auf einer dieser Baustellen zu arbeiten, über die Autofahrer ständig schimpfen. Deswegen steige ich gleich in einen Bagger.

NRW ist das Bundesland mit dem dichtesten Autobahnnetz, hier gibt es auch die meisten Staus. Viele entstehen wegen Baustellen auf der Fahrbahn. Im Kreuz Neuss-Süd im Übergang von der A57 auf die A46 wird — wie noch an drei anderen Ausfahrten — auf mehreren hundert Metern die Böschung erneuert.

Die Baustelle ist durch eine etwa 50 Zentimeter hohe Stahlwand gesichert. Dafür ist der rechte Fahrstreifen abgetrennt worden. Erst in der vergangenen Woche gab es einen Unfall mit einem 40-Tonner. Der Sattelzug touchierte die Stahlwand, verlor seinen Anhänger, der sich quer über die Fahrbahn legte. Die ersten beiden Elemente der Schutzwand mussten ausgetauscht werden. "Die Wand ist so konstruiert, dass sie selbst bei einem Lkw-Unfall nicht mehr als 1,40 Meter nachgeben darf”, sagt Ruelfs. Beim Anblick der etwas mehr als kniehohen Mauer kann ich nicht glauben, dass sie mich vor einem 40-Tonner schützen soll.

Auf Herrn Ruelfs und mich wartet Ante Lagator (34) von der Firma Oevermann. Er ist Straßenbaumeister und arbeitet mit seinem Team auf der Baustelle. Er ist dafür verantwortlich, dass die Böschung pünktlich bis zum 11. März fertig wird. Sechs Männer und zwei Langstielbagger arbeiten dafür zehn Stunden am Tag — inklusive Pausen.

Bevor ich in den Bagger steigen darf, ziehe ich noch eine orange Schutzweste an. Die ist Pflicht. Wir stehen mit dem Rücken zur Fahrbahn, während Ruelfs und Lagator mir erklären, wie die Baustelle funktioniert. Beim Baggerfahren muss ich natürlich aufpassen, dass ich keinen der anderen Bauarbeiter mit der Schaufel erwische. Ich muss mich ziemlich konzentrieren, um den Erklärungen zu folgen. Mit einem Ohr höre ich immer auf den Verkehr.

Auf seinem Tablet zeigt mir Herr Ruelfs eine Skizze von der Böschung, wie sie einmal aussehen soll. "Der Starkregen im vergangenen Sommer hat die Böschung komplett unterspült”, erklärt er. Deswegen wird sie nun abgetragen und dann in Stufen wieder aufgebaut. Die Bagger müssen erst die Erde wegschaufeln. Dann werden die Stufen angelegt. Diese werden mit Weidenzweigen bedeckt und mit neuer Erde überschüttet.

Die Weidenruten sollen später austreiben und mit den Wurzeln die Böschung befestigen. Wenn die Stufen fertig sind, werden sie zusätzlich mit Wasser und Grassamen bespritzt. Früher hätte man den Hang nicht so aufwändig befestigt, sagt Ruelfs. Das sei nicht nötig gewesen, weil es nicht so häufig Starkregen gab.

Im Bagger-Führerhäuschen ist es warm und still

Der Bagger macht die Vorarbeit, dann planieren zwei Arbeiter den Abschnitt und legen die Weidenzweige aus. Der Bagger schüttet Erde darüber. Das soll ich machen, wenn ich mich nun ins Führerhäuschen setze. Baggerführer Mike zeigt mir, wie ich arbeiten muss. "Er ist unser bester Baggerfahrer”, sagt Ante Lagator.

Der Bagger steht oberhalb der Böschung. Mit seinem langem Arm kann er bis ans untere Ende reichen. Eine Stufe hat Mike schon fertig, die Arbeiter sind gerade an der zweiten. Als ich ins Führerhäuschen klettere und die Tür hinter mir schließe, ist es plötzlich angenehm warm und still. Dort drinnen hört man den Verkehr fast nicht mehr. Das Radio läuft, Mike hat eine Minion-Stofffigur an die Decke gehängt.

Links und rechts am Sitz sind zwei Schaltknüppel, vor mir auf dem Boden zwei Steuerpedale. Die darf ich aber nicht treten, damit kann man nämlich vorwärts und rückwärts fahren. Vor mir auf einem kleinen Bildschirm sehe ich über eine Kamera, was hinter dem Bagger ist. Im Augenblick sehe ich nur, wie der Verkehr hinter mir entlangfährt.

Ich soll nur den Baggerarm und die Schaufel bedienen. Mit dem linken Knüppel schwenke ich den Arm, mit dem rechten steuere ich die Schaufel. Wenn ich meine Hand nach links oder rechts bewege, fahre ich den Arm hoch oder runter. Wenn ich die Schaufel öffnen oder schließen will, muss ich die Hand noch vorne oder hinten drücken. Das erfordert viel motorisches Feingefühl.

Bald habe ich den Bogen aber raus, und Baggerfahren macht jede Menge Spaß. Nach rechts schwenken, runter, Schaufel öffnen, Erde aufnehmen, Schaufel schließen, hoch, nach links schwenken, Schaufel öffnen, Erde fallen lassen. Klappt ganz gut. Beim Schwenken habe ich nur Angst, die Böschung hinunter zu kippen. Auch die Bauarbeiter, die nicht im Bagger sitzen, müssen gut aufpassen, dass sie am Hang nicht ausrutschen. "Das kann aber nicht so leicht passieren”, sagt Ante Lagator. "Dafür werden die Bauarbeiter ja geschult.”

Die meisten Unfälle passieren im Stau vor der Baustelle

"Bei uns in der Firma ist mir kein schlimmer Unfall bekannt”, sagt Lagator, als ich das sichere Führerhäuschen verlassen habe. "Die meisten Unfälle passieren im Stau vor einer Baustelle”, sagt Ruelfs. "Wir müssen mittlerweile zwischen den Arbeitern und der Fahrbahn einen Abstand von 2,10 Metern einhalten. Früher waren das nur 50 Zentimeter.” Staus hingegen gibt es viele. Das Autobahnkreuz ist ein neuralgischer Punkt. Weil der rechte Fahrstreifen gesperrt ist, gibt es fast jeden Tag in der Rushhour Staus vor der Baustelle.

Der Verkehr ist aber nicht die einzige Herausforderung auf der Baustelle. Im Sommer würden die Männer hier in der prallen Sonne arbeiten, im Winter machen Frost und Regen die Arbeit zum Knochenjob. "Frost ist eher ein Problem, wir können keinen gefrorenen Boden verarbeiten”, sagt Ruelfs. Hitze und Niederschlag sind hingegen kein Grund, nicht zu arbeiten. Die nächste Toilette ist ein Dixi-Klo am anderen Ende der Baustelle.

Autofahrer schicken Beschwerde-Mails

Ruelfs kann nicht nachvollziehen, warum Autofahrer häufig denken, auf den Baustellen würde nur selten gearbeitet. "Als wir im Januar mit dieser Baustelle angefangen haben, bekam ich E-Mails von Autofahrern mit der Beschwerde, dass hier gar nicht gearbeitet würde”, erzählt er. Dabei mussten die Bauarbeiter unterhalb der Böschung anfangen, wo die Autofahrer sie gar nicht sehen konnten. E-Mails wie diese kriegt er häufiger.

Ich jedenfalls bin einigermaßen froh, als ich wieder in meinem Auto sitze und die Baustelle verlassen kann. Zehn Stunden am Tag bei Wind und Wetter, neben mir dicke Lkw, das hielte ich nur im warmen Führerhäuschen aus.

(heif)
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