Neuss Das Leben lernen

Neuss · "Körperpoesie" des Ensembles "Side B" feierte am Samstag Premiere. Das Stück erzählt vom Leben und den Gefühlen junger Menschen.

 Emilie Pesch und Ramin Haijat bei der Premiere von "Körperpoesie" im Kulturforum Alte Post.

Emilie Pesch und Ramin Haijat bei der Premiere von "Körperpoesie" im Kulturforum Alte Post.

Foto: Kubid

Sieben junge Menschen stehen aufgereiht im kalten Licht der Scheinwerfer. Sieben junge Menschen mit unterschiedlichen Schicksalen, Ideen und Träumen. Sie tragen Namen, die die Themen des Stückes beschreiben. Einer nennt sich "Besserwisser", einer "der Schwule", eine "die Unsicherheit". Dann setzt die Musik ein. Es sind zunächst ruhige Klänge, geheimnisvoll. Nach und nach verändert sich der Eindruck. Mit einem Grollen türmen sich die Töne zu etwas Größerem auf, dröhnende Bässe kommen hinzu, und die Bühne versinkt in Dunkelheit. In die Körper des jungen Ensembles kommt Bewegung. Jeder bewegt sich für sich, doch sie alle bilden ein Ganzes - sieben Individuen, die durch ihren psychedelisch anmutenden Tanz zu einer Gruppe verschmelzen.

Die Choreographie, mit der das neue Stück "Körperpoesie" des Ensembles Side-B und des Vereins Kubid im Kulturforum eröffnet wird, macht dem Zuschauer gleich zu Beginn deutlich, womit er es hier in den nächsten eineinhalb Stunden zu tun bekommt: einem musikalisch-choreographischen Bühnenstück, das mit Hilfe intimer Einblicke in die Gewühlswelt und tänzerischem Ausdruck ein Bild von der Lebenswirklichkeit junger Erwachsener zeichnet.

Das Stück wird in Episoden erzählt. Sieben Fremde haben sich zu einer WG zusammengeschlossen, deren Bewohner unterschiedlicher nicht sein könnten. Frauen treffen auf Männer, Gefühle auf große Pläne, und Unsicherheit trifft auf Selbstbewusstsein. So erleben die Zuschauer zum Beispiel den Bericht "des Schwulen", gespielt von Ramin Haijat, der auf Farsi den Prozess seiner Selbstfindung beschreibt und mit einem selbstbewussten Bekenntnis zu seiner Homosexualität endet. Oder den Vortrag "der Unsicheren", gespielt und getanzt von Emilie Pesch, die in einem gefühlvollen Monolog Einblick in ihre von Zukunftsängsten geprägte Lebenswirklichkeit gewährt.

Dass das Ensemble nach Ende des Stückes vom Premierenpublikum frenetisch gefeiert und mit stehenden Ovationen verabschiedet wird, ist kein Zufall. Das Stück ist grandios, was vor allem daran liegt, dass es Regie und Schauspielern gelingt, Glaubwürdigkeit zu vermitteln. "Körperpoesie" erzählt von den Problemen und Schwierigkeiten, mit denen die Generation zu kämpfen hat, die sich gerade auf dem Sprung in die Unabhängigkeit befindet. Die Schauspieler sind ausnahmslos alle in dem von Widersprüchen geprägten Alter zwischen 20 und 30 Jahren - jener Zeit zwischen Abitur und Studienabschluss, in der wohl jeder Phasen der Unsicherheit zu bewältigen hat. Dieser Umstand und die intimen Monologe, die alle von Poerty Slammer und Ensemble-Mitglied Frederik Brumm stammen, tragen dazu bei, dass der Zuschauer dazu verleitet wird, sich in die Seele des jeweiligen Protagonisten hineinzuversetzen. Auch die tänzerischen Einlagen zwischen den einzelnen Episoden sind weit mehr als bloße Bühnenästhetik. Regisseurin Yeliz Pazar setzt Musik und Bewegung ein, um Konflikte und Gefühle aufzuzeigen, die mit den Vorträgen der Protagonisten in Verbindung stehen.

Dass der konzeptionelle Ansatz von "Körperpoesie" funktioniert, zeigen die Reaktionen des Publikums: "Das war gerade richtig gut", bilanziert zum Beispiel Premierengast Sophia Mattercyck. "Ein Stück, das zum Denken und Mitfühlen anregt. Für so ein Erlebnis geht man ins Tanztheater."

(th)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort