Gymnasium Norf Auf dem Weg zur besten Schule Deutschlands

Neuss · Das Gymnasium Norf sieht zunächst nicht außergewöhnlich aus, ist aber für den Deutschen Schulpreis nominiert. Zu Besuch bei Deutschlands neuer Topschule.

Deutscher Schulpreis 2016: Das Gymnasium Norf in Neuss
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Zu Besuch im Gymnasium Norf in Neuss

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Juni 1916, an der deutsch-französischen Front stehen sich Deutsche und Franzosen in einer der blutigsten Schlachten des Ersten Weltkriegs in Verdun gegenüber. Hundert Jahre später sitzen Schüler des Norfer Gymnasiums in einem abgedunkelten Klassenzimmer und sehen einen Film. Soldaten im Schützengraben, schwarz-weiß, Hufeklappern, Menschen auf der Flucht. Geschichtsstunde bei Lehrer Ercan Koc, der bereits die Hausaufgaben überprüft hat. Bis dahin ein ganz normaler Unterricht, im Westen nichts Neues.

Aber der 32-jährige Geschichtslehrer unterrichtet an einer Schule, die zu den 14 besten Deutschlands gehört, und mit ein bisschen Glück, nächste Woche sogar den Deutschen Schulpreis gewinnen kann, der mit einer Siegesprämie von 100.000 Euro dotiert ist. Wenn es nach dem 14-jährigen Tim geht, sollte die Auszeichnung auf jeden Fall nach Norf gehen. "Ich glaube es ist besonders, dass wir eine so große Schule sind", sagt Tim. Als Mitglied der Schülervertretung darf er als einer von wenigen der 1217 Schüler mit nach Berlin reisen, um seine Schule vorzustellen.

"Wir sind der Underdog"

Aber das Stadtteilgymnasium sieht sich als Außenseiter im Rennen um den Titel. "Wir sind der Underdog im Wettbewerb", sagt Erdkundelehrer Raoul Zühlke. Dass die Schule gleich mit der ersten Bewerbung bei der Auswahlkommission so weit vorne gelandet ist, habe ihn überrascht. "Andere Schulen bewerben sich bis zu acht Mal hintereinander." Der Mittelstufenleiter hatte die Schule für den Wettbewerb angemeldet. Der Unterstützung seiner Kollegen ist er sich sicher. "Ich weiß, dass ein solcher Wettbewerb in unserer Schule funktioniert. Alle engagieren sich." Dass die Norfer es unter die 14 Topschulen 2016 geschafft haben, hat ihn dann aber doch überrascht.

Was ist das Besonderere an dem inzwischen größten Gymnasium im typischen 70er Jahre Bau? Die Nähe zur Natur? Das Gymnasium im Neusser Süden liegt dörflich, in direkter Nachbarschaft zu Einfamilienhäusern mit Garten, vom Schulhof aus sieht man den Kirchturm. Die Schüler seien außergewöhnlich sozial, sagt Lehrer Koc. Mobbing gebe es in ihrer Schule eigentlich nicht, sagt die zwölfjährige Nicola, die gerade Papierschnipsel zu einer zusammenhängenden Geschichte sortiert- english, please. Schön an ihrer Schule sei aber auch, dass man mit Jungs zusammen im Unterricht sei.

Das alles zeichnet das Gymnasium Norf aus

Dass der zehnjährige Baran inzwischen auch ganz eigenständig den Weg nach Hause findet, ist für Sozialpädagogin Antje Steinert ein riesiger Erfolg. Denn Baran ist ein Inklusionskind. Lernen fällt ihm schwer. Die Inklusion ist nur eines der vielen Projekte, die man sich in Norf vorgenommen hat. Das Gymnasium ist Fairtrade-Schule, für seine individuelle Förderung ausgezeichnet, hat den Schulentwicklungspreis NRW 2012-2015 gewonnen und trägt seitdem den Titel "gute gesunde Schule", ist außerdem als besonders bewegungsfreudig prämiert und spezialisiert sich auf die MINT-Fächer (Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Drei Informatiklehrer gibt es an der Schule. Eine von ihnen ist eine junge Frau. Fatma Yabalioglu hat es sich zur Aufgabe gemacht, vor allem Mädchen für Technik zu interessieren. Das sei mit einem kleinen Trick gelungen: Im Informatikunterricht gehe es nun auch um die neuen Medien; SnapChat, Facebook, Instagram. Das interessiert die Girls.

Die Inklusion aber ist und bleibt ein Projekt, das die Schule ganz besonders geprägt habe, sagt Karin Schickhaus, die diese Arbeitsgruppe leitet. Zwei Förderklassen gebe es bisher, mit jeweils fünf lernschwachen Kindern. Ab kommendem Schuljahr soll eine dritte Klasse dazukommen. "Grenzen verschwimmen", sagt die Deutschlehrerin, "daraus haben wir auch viel für die individuelle Förderung gelernt. Auch besonders begabte Schüler profitieren davon." Seit anderthalb Jahren werden am Gymnasium Norf Inklusionskinder mit angehenden Abiturienten unterrichtet. Immer an ihrer Seite ist Sozialpädagogin Antje Steinert, die vom Gedanken überzeugt ist. Die Lernfortschritte der Förderkinder seien immens, sagt sie, "es läuft super". Aus ihrer Sicht gibt es nur ein Problem: Sie ist allein. Unterstützung könne sie laut Stellenschlüssel erst in fünf Jahren erwarten. "Die Förderkinder sind wahnsinnig bedürftig und emotional." Gerne würde sie den lernbehinderten Kindern noch mehr Aufmerksamkeit schenken.

Leistungskurse in Latein, Kunst und Sport

Das wirklich Außergewöhnliche an ihrer Schule aber, da ist man sich am Gymnasium Norf einig, ist das respektvolle Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern. "Die Schüler können ihre Ideen einbringen und umsetzen, wir bremsen nicht", sagt Raoul Zühlke. Dazu komme ein junges Kollegium, die Mehrheit ist unter 35. "Es ist sehr viel Arbeit", sagt Zühlke. "Aber es lohnt sich. Wir haben Bewerbungen von Lehrern im hohen zweitstelligen Bereich", erzählt er. Dem stünde ein "gigantischer Zulauf" auf Seiten der Schüler gegenüber. "Ja, wir haben einen guten Ruf", freut sich Zühlke. Dazu trage auch das breite Fächerangebot bei: Leistungskurse sind in Latein, Kunst und Sport möglich. Besonders überzeugt ist Sportlehrer Jürgen Klatte von den "SpoBiG"-Kursen - ein Wahlpflichtfach, das Sport, Biologie und Gesundheitswissenschaften vereint. Gesund zu essen, lernen die Inklusionskinder auch in der Schulcafeteria: Azra (11) schmiert Pausenbrote - praktisches Lernen. An wen der Preis nun nächste Woche in Berlin verliehen wird, sei für die Norfer nicht entscheidend, sagt Zühlke. "Wir haben jetzt schon viel dazu gewonnen."

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