Reiner Breuer "Die 100 Tage waren gefühlte zwei Jahre"

Neuss · Exakt seit 100 Tagen ist Reiner Breuer als Bürgermeister im Amt. Auf dem blauen NGZ-Sofa stellte er sich den Fragen von Redaktionsleiter Ludger Baten im Restaurant Essenz der "Bürger".

Reiner Breuer: "Die 100 Tage waren gefühlte zwei Jahre"
Foto: Woitsch�tzke, Andreas

Herr Breuer, es gab zahlreiche Aktivitäten des Bürgermeisters, die den Eindruck erweckten: Da macht einer die Fenster auf, lässt frischen Wind rein und räumt auf. War das die gewollte Botschaft?

Reiner Breuer Ich bin ja nicht dafür angetreten, dass sich nichts verändert. Die 100 Tage waren gefühlte zwei Jahre. Als Verwaltungschef von 1400 Beschäftigten muss ich viele Entscheidungen treffen. Beispiel: Mir war nicht ganz klar, nach welchen Kriterien Beförderungen vorgenommen werden. Deswegen habe ich einvernehmlich mit dem Personalrat beschlossen, dass es keine Beförderungen ohne vorherige Bewertung einer Stelle mehr gibt. Um die Verwaltung zukunftsfähig zu machen, haben wir zudem die Zahl der Auszubildenden auf 30 deutlich erhöht. Und im Bereich Sicherheit und Sauberkeit haben wir die bisherige globale Stellensperre meines Vorgängers aufgehoben. Im Rahmen einer Sauberkeitsoffensive können wir zehn Stellen im Grünflächenamt und im Kommunalen Servicedienst weitere zwei Stellen tatsächlich besetzen.

Große Aufregung gab es um das Thema Ehrenordnung der Ratsmitglieder. Bekommt der Bürgermeister eine Mehrheit dafür?

Breuer Ich brauche keine Mehrheit dafür, weil dies alles bereits in der Gemeindeordnung, im Korruptionsbekämpfungsgesetz und im Strafgesetzbuch geregelt ist. Ich möchte Transparenz, um Interessenskollisionen auszuschließen. Das ist der Hintergrund. Und wenn man darum weiß, kann man die Diskussion ganz entspannt angehen, denke ich.

Aber irgendwann ist mit dem Aufräumen in der Stadtverwaltung doch sicher auch mal Schluss...

Breuer ... da bin ich mir nicht so sicher. Aber es ist ja auch keineswegs nur so, dass ich mit dem Besen durchkehre. Es gibt viele Herausforderungen und Themen, die für die Großstadt Neuss wichtig sind. Beispiel künftige Stadtentwicklung: Wollen wir uns von Höffner und Co diktieren lassen, wie unsere Stadt aussehen soll? Das strukturelle Defizit - Neuss hat etwa 20 Millionen Euro mehr Ausgaben als Einnahmen - wurde kurzfristig gedeckt durch Veräußerung von Grundstücken. Das kann man ein paar Mal machen, aber dann ist das Grundvermögen verzehrt. Für mich ist das keine saubere Haushaltsführung. Zudem brauchen wir in der Innenstadt kein viertes, oder gar fünftes Möbelhaus.

War der Haushalt Grund dafür, so bedeutende gesellschaftliche Veranstaltungen wie "Festlicher Abend" oder das Golfturnier zu streichen?

Breuer Ich habe abgewogen: Was ist der Ertrag dieser Veranstaltungen? Das konnte mir nicht plausibel belegt werden. Und so sparen wir 90.000 Euro beim Festlichen Abend und weitere 10.000 Euro beim Golfturnier.

Die Stadt Monheim, die 2011 hoch verschuldet war, hat dramatisch den Gewerbesteuer-Hebesatz reduziert und in Folge über 200 Millionen eingenommen...

Breuer ... ja auf Kosten anderer Kommunen. Das ist Kannibalismus pur. Denn dieses höchst unsolidarische Verhalten geht zu Lasten umliegender Kommunen und Städte. Würden wir alle das machen, haben wir alle keine Einnahmen mehr. Daher halte ich es eher für sinnvoll, einen Mindesthebesatz festzulegen.

Zum Thema Bauen: Wo könnte in Neuss gebaut werden?

Breuer Ein Schwerpunkt wird in der Innenstadt sein, aber auch in den Stadtteilen. Wir sollten als Stadt aktiver in den Grundstücksverkehr einsteigen. Brachflächen aktivieren, vorhandene Bestände besser nutzen und Baulücken schließen. Ich möchte eine Wohnungsbauoffensive - nicht nur mit dem Bauverein - starten und bis 2020 etwa 1.000 neue Wohnungen schaffen. Denn wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum auch durch das Thema Zuwanderung.

Wie beurteilt der Bürgermeister die Stimmungslage beim Thema Flüchtlingspolitik? Haben wir eine Willkommenskultur oder kippt die Stimmung?

Breuer Die Stimmung ist fragil. Aber das war sie immer schon, ich mache mir da keine Illusionen. Eine uneingeschränkte Willkommenskultur hat es nirgendwo gegeben. Ich erlebe aber sehr hohes ehrenamtliches Engagement. Wir haben immer noch mehr Helfer als Flüchtlinge. Aber auch mich haben die Silvesterereignisse schockiert. Deshalb müssen wir uns als Staat deutlich wehrhaft zeigen.

Was sind weitere Schwerpunktthemen?

Breuer Der digitale Wandel ist wichtig für die gesamte Stadt. Wir haben eine Kooperation mit der Deutschen Glasfaser, die jetzt in vielen Stadtteilen - vor allem im Neusser Süden - die Möglichkeiten für schnelles und zuverlässiges Internet prüft. Ich hoffe, dass dies in möglichst vielen Teilen, auch in Gewerbegebieten, rasch gelingt. Denn dies ist ein wichtiger Wirtschaftsstandortfaktor. Zudem haben wir uns als "Fußgänger- und fahrradfreundliche Stadt" beim Land NRW beworben. Um dieses Siegel zu erhalten, müssen wir aber noch einige Maßnahmen umsetzen.

Besteht die Chance, dass die Tour de France, die 2017 in Düsseldorf startet, auch durch Neuss rollt?

Breuer Es besteht eine. Ich könnte mir vorstellen, dass es eine linksrheinische Schleife gibt. Aber jeder, der jetzt ganz laut "hier" ruft, muss mit der Gegenfrage rechnen: Was zahlt Ihr dafür? Deshalb bin ich damit vorsichtig und habe die Hoffnung, dass wir von der Tour de France etwas mehr mitbekommen. Aber wir müssen Maß halten. Ich möchte vor allem den Rad- und Fußverkehr stärker ins Bewusstsein bringen. So könnte ich mir auch mal einen autofreien Tag in Neuss vorstellen.

Wie lautet das Fazit nach 100 Tagen im Amt?

Breuer Es ist das schönste Amt - direkt nach dem Papst.

DAS GESPRÄCH FASSTE BÄRBEL BROER ZUSAMMEN.

(NGZ)
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