Serie Mit Dem Jugendamt Von Fall Zu Fall Die Erziehungshelfer aus dem Rathaus

Neuss · Das Neusser Jugendamt unterstützt Familien in schwierigen Situationen, zum Beispiel, wenn sich Kinder weigern, auf ihre Eltern zu hören. Meist stecken Probleme dahinter, die gemeinsam angegangen werden müssen.

 Wenn Kinder nur noch am Computer hängen, die Schule verweigern und keine Regeln mehr einhalten, brauchen die Eltern oft Hilfe. Das Jugendamt weiß in solchen Fällen Rat.

Wenn Kinder nur noch am Computer hängen, die Schule verweigern und keine Regeln mehr einhalten, brauchen die Eltern oft Hilfe. Das Jugendamt weiß in solchen Fällen Rat.

Foto: dpa

Neuss Sie wirkt erschöpft. Nach einem langen Arbeitstag sitzt eine 45-jährige Mutter im Büro von Sachbearbeiterin Sara Scheufens im Jugendamt der Stadt Neuss. Dieser Schritt sei ihr sehr schwer gefallen, erzählt die Frau. Aber sie habe sich nicht anders zu helfen gewusst. Denn seit Sommer 2014 geht ihre 13-jährige Tochter nicht mehr zur Schule.

Das Mädchen war bis dahin eine gute Schülerin. "Meine Tochter hat aber große soziale Ängste und depressive Verstimmungen", sagt die Mutter. "Dann kamen körperliche Beschwerden wie Bauchschmerzen und Übelkeit hinzu." Vier Wochen lang wurde sie psychosomatisch versorgt im Lukaskrankenhaus. Danach veränderte sich die Situation zuhause aber nicht.

Die 13-Jährige verweigert die Schule, lebt in den Tag hinein, kennt keinen Tag-Nacht-Rhythmus mehr, isst zu den unmöglichsten Uhrzeiten und hängt ständig am Laptop. Selbst kleine Einkäufe schafft sie nicht. Die Situation zuhause eskaliere zunehmend, erzählt die Mutter hilflos. Sobald sie Druck ausübe, drohe ihre Tochter, sich etwas anzutun.

"Ich habe die Schule regelmäßig über den Gesundheitszustand meiner Tochter informiert", sagt die 45-Jährige. "Aber mittlerweile übt die Schule Druck aus, droht mit einem Bußgeldverfahren." Diese Androhung habe sie bewogen, im November 2014 erstmals Kontakt mit dem Jugendamt aufzunehmen. Sachbearbeiter Markus Gohlke holte zunächst eine Schweigepflichtsentbindung bei den getrennt lebenden Eltern des Mädchens ein.

"Erst, wenn beide Elternteile unterschrieben haben, darf die Schule uns Auskunft geben", erklärt Jugendamts-Mitarbeiterin Sara Scheufens. "In diesem Fall sind beide Elternteile sehr kooperativ. Das kennen wir aber auch ganz anders. Manchmal müssen wir Vater oder Mutter regelrecht hinterherrennen."

Gohlke sprach lange mit der 45-Jährigen. "Es war ein sehr intensives Gespräch. Endlich gab es mal jemanden, der mir zuhörte", erinnert sich die Mutter. Als sich aber herausstellte, dass das Mädchen nicht mit einem Mann sprechen wollte, wurde der Fall Sara Scheufens zugeteilt.

Sie suchte den Teenager zuhause auf. "Das Mädchen hat viele Probleme benannt", so Scheufens. Die Schülerin leide darunter, dass der Vater die kleine Familie verlassen und eine neue gegründet habe, als sie drei Jahre alt war. Auch den neuen Lebensgefährten ihrer Mutter habe das Mädchen zunächst abgelehnt, respektiere ihn mittlerweile aber.

Nach Rücksprache mit der Therapeutin, bei der die 13-Jährige durch Vermittlung des Jugendamts in Behandlung ist, verstärkte sich Scheufens Eindruck: "Das permanent depressive Verhalten der Tochter hat bei der Mutter zu einer Über-Behütung und regelmäßigen Schuldgefühlen geführt." Folge sei eine "gelernte Hilflosigkeit" der Tochter, die gleichzeitig Macht auf eine zunehmend schwächer werdende Mutter ausübe, ergab die Analyse der Therapeutin.

Per Mail erteilte sie der Mutter einige Ratschläge: Alltag strukturieren, feste Schlafens- und Essenszeiten, Haus- und Putzarbeiten delegieren und ganz wichtig: den Medienkonsum reduzieren, bestenfalls alle Netzzugänge kappen. "Diesen Kraftakt schaffe ich noch nicht", gibt die Mutter zu, und ihr freundliches Gesicht wirkt schmerzverzerrt.

Sara Scheufens bleibt dabei: "Der Druck muss erhöht werden. Sie müssen vor allem Macht über den Medienkonsum zurückgewinnen." Das werde hart, prognostiziert Scheufens: "Denn Ihre Tochter wird alle Register ziehen, aber wir können Sie unterstützen." Konkret bietet sie an: "Wir können Familientherapeuten schicken, die gemeinsam mit Ihnen Regeln entwickeln und bei der Umsetzung helfen."

Sollte die Situation zuhause eskalieren, gebe es Notfallpläne (siehe Infokasten). Für die Mutter eine schwerer Schritt: "Mir blutet das Herz, wenn meine Kleine weint oder schreit." Sie weiß aber auch: " Es muss etwas geschehen, denn ich bin am Ende meiner Kräfte."

Als die 45-Jährige das Büro verlassen hat, ist auch Sara Scheufens erschöpft. "Solche Gespräche sind sehr anstrengend", sagt die Jugendamts-Mitarbeiterin. "Dabei ist dies noch ein Paradefall mit kooperativen Klienten." Da gebe es ganz andere Eltern. "Manche sind ganz stur, andere schreien wutentbrannt."

(NGZ)
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