Interview Bettina Jahnke "Die Kultur muss Sand im Getriebe sein"

Neuss · Die Intendantin des Rheinischen Landestheaters hat auf dem blauen NGZ-Sofa mit Redaktuionsleiter Ludger Baten und Kulturredakteurin Helga Bittner über Ostdeutschland, rheinisches Brauchtum und die Jugendstil-Sammlung gesprochen.

 RLT-Intendantin Bettina Jahnke zu Gast auf dem blauen NGZ-Sofa im Hause der Bürgergesellschaft, dem Restaurant "Essenz".

RLT-Intendantin Bettina Jahnke zu Gast auf dem blauen NGZ-Sofa im Hause der Bürgergesellschaft, dem Restaurant "Essenz".

Foto: Andreas Woitschützke

Sie sind vor sieben Jahren ins Rheinland gekommen. Haben Sie sich gedacht: Wo bin ich hier gelandet?

Bettina Jahnke Man muss sagen, dass hier eine ganz andere Form von Kulturverständnis vorhanden ist. Ich bin auf ein breites Bildungsbürgertum gestoßen, bei dem man eine gewisse humanistische Grundbildung voraussetzen kann. Das ist im Osten nicht mehr so. Wir erleben es an der Krise in Dresden, die deutlich macht: Es fehlt diese Mittelschicht, der Speckgürtel der Gesellschaft. Hier gibt es eine echte Bürgergesellschaft, die bestimmt.

Hatten Sie Vorurteile, bevor Sie hier angefangen haben?

Jahnke Natürlich. Der Ruf von Neuss ist durch die Dreieinigkeit aus Schützen, Katholiken und CDU geprägt. Damit muss man sich auseinandersetzen - im Positiven wie im Negativen. In Theaterkreisen hat Neuss einen guten Ruf. Insgesamt hatte ich das Gefühl, dass der Ruf der Stadt schlechter ist, als es hier dann tatsächlich war. Es herrscht hier eine sehr offene kulturelle Atmosphäre.

Hat das etwas mit dem Rheinländer zu tun?

Jahnke Ja! Er ist kulturhungrig, begeisterungsfähig, leidenschaftlich und leidensfähig. Ich mache das am Schützenfest fest: Das ist so fremd, gerade für uns Frauen. Es ist provokant, aber auch faszinierend. Ich bin kein Fan davon, das muss ich sagen. Aber das gehört zu einer toleranten Gesellschaft dazu: Ich erwarte, dass die Leute ins Theater gehen, also kann ich auch das Schützenwesen akzeptieren.

Es scheint, Sie sind auf dem Weg, Neusserin zu werden...

Jahnke Ja, Reibung gehört dazu. Dafür sind wir von der Kultur zuständig - Brandbomben reinzuwerfen und Sand ins Getriebe zu streuen, wenn es gar zu kuschelig wird.

Leistet sich die Stadt genug Kultur?

Jahnke Es geht immer mehr. Die Grundversorgung ist gesichert, jetzt ist die Frage, inwieweit man sich Leuchttürme leisten und dafür sorgen will, dass Künstler nicht unter dem Mindestlohn arbeiten. Da ist Luft nach oben. Letztendlich muss man das aber auch ins Verhältnis setzen: Was verdient ein Künstler und was eine Friseurin oder Krankenpflegerin? Ich erwarte gar nicht, dass wir mit dem dicken Koffer nach Hause gehen, aber woanders sind Tarifverträge ganz selbstverständlich.

Um Geld geht es auch beim Kauf der Jugendstil-Sammlung. Wie beurteilen Sie diese Diskussion?

jahnke Ich stelle mir vor, dass es vor 15 Jahren eine ähnliche Diskussion um den Neubau des Theaters gegeben hat. Das bezahlt man nicht aus der Portokasse. Das ist jetzt auch der Fall: Die Stadt muss es sich etwas kosten lassen, man kriegt es nicht umsonst und auch nicht aus dem derzeitigen Kulturetat. Es müssen Kosten freigemacht und der Etat erhöht werden - und dann leistet man sich das. Es ist ein Bekenntnis, das kann man nicht nebenbei machen.

Welche Rolle kann in der Finanzierung von Kultur die Wirtschaft spielen - Stichwort Sponsoring?

Jahnke Das ist ein heikles Thema. In Bochum wollte sich Red Bull für ein paar Millionen in das Theater einkaufen. Das hätte eine große Finanzlücke geschlossen, aber da hätte am Haus dann irgendwo Red Bull gestanden, so ganz umsonst machen die das ja nicht. "Red-Bull- Theater" oder ein Schriftzug auf dem Vorhang? Das fände ich grauenhaft. Deswegen sage ich: Sponsoring ja, aber nur auf eine Weise, die die Kultur meint und nicht nur sich selber fördert.

Hatten Sie schon einmal das Gefühl, sich mit einem Engagement völlig vertan zu haben?

Jahnke Ja. Ich sage aber nicht, bei wem (lacht). Man muss seine Kollegen ja schützen. Dafür gibt es aber ganz unterschiedliche Gründe. Es kann eine Spielweise sein, die nicht ins Ensemble passt, manchmal kann es sein, dass derjenige die emotionale Kompetenz eines Fünfjährigen hat. Soziale Kompetenz ist mindestens genauso wichtig wie künstlerische. Ich kann keine Rampensäue vertragen. Da gibt es manchmal auch Ausfälle.

Wie kann das Neusser Theater ihr Abo-Publikum halten und neues gewinnen?

Jahnke Das hat weniger mit "zusätzlich" machen zu tun als mit einer Haltung, die hinter unserer Arbeit steckt. Stücke wie "Wir sind keine Barbaren" sind extrem wichtig, es muss aber auch solche wie "The King's Speech" unten im Studio geben. Ich will das eine nicht gegen das andere ausspielen. Qualität setzt sich durch, und Mundpropaganda ist in Neuss alles.

OLIVER BURWIG FASSTE DAS GESPRÄCH ZUSAMMEN.

(NGZ)
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