Neuss Die Lebensmittelretter aus Neuss

Neuss · Müll oder Mahl: Chris Schulte rettet mit dem Verein Foodsharing genießbare Lebensmittel vor der Tonne und verteilt sie in der Stadt. Dazu kooperiert er mit Läden, die zwar Kunden verlieren - aber trotzdem ökonomisch profitieren.

 Bio-Bauer Heinrich Hannen und Chris Schulte aus Neuss haben eine gemeinsame Mission - die Verschwendung von Lebensmitteln zu reduzieren.

Bio-Bauer Heinrich Hannen und Chris Schulte aus Neuss haben eine gemeinsame Mission - die Verschwendung von Lebensmitteln zu reduzieren.

Foto: A. Woitschützke

Sie schmecken gleich, duften gleich und sind auf demselben Acker gewachsen wie die Kartoffeln, die Kunden für über einen Euro pro Kilogramm im Laden gekauft haben. Doch die dampfenden Kartoffeln, die nun vor Chris Schulte auf dem Teller liegen, hat der Neusser Künstler gratis vom Kaarster Bauern und Ladenbesitzer Heinrich Hannen überreicht bekommen. Sie sind nicht so groß wie die anderen Kartoffeln und haben nicht die Form, die sich die Kunden wünschen. "Geschmacklich und gesundheitlich sind sie perfekt, lassen sich aber nicht verkaufen", sagt Schulte. Etwa 550.000 Tonnen Lebensmittel wirft der deutsche Handel pro Jahr, laut einer Studie der Universität Stuttgart von 2012, weg.

Mit dem Verein Foodsharing rettet der 43-Jährige Kartoffeln, Äpfel, Tomaten, Joghurt, Käse und Brot vor der Mülltonne. Fast täglich fährt er zu Supermärkten rund um Neuss, die mit ihm kooperieren und nimmt Lebensmittel mit, die kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums stehen. "Das Mindesthaltbarkeitsdatum wird von jedem Hersteller anders vergeben und sagt nur etwas über Dinge wie die Konsistenz aus, nicht aber , ob es noch verzehrbar ist", sagt Schulte.

Für den Biobauern Hannen ist die Kooperation mit dem Verein Food-sharing eine zwiespältige Angelegenheit: Menschen wie Schulte, die von ihm aussortierte Kartoffeln bekommen, sind bereits bedient und interessieren sich nicht mehr für das Angebot in seinem Laden. Doch für Hannen ist die Vorstellung, tonnenweise Lebensmittel wegzuschmeißen, unerträglich. Je nach Witterung und Marktbedingungen muss er bis zu 50 Prozent seines Gemüses entweder ungeerntet lassen oder vor dem Verkauf aussortieren. "Ironischerweise muss ich genau dann viel Gemüse aussortieren, wenn gerade eine Knappheit herrscht", sagt Hannen. Gibt es zum Beispiel kaum Tomaten auf dem Markt, steigt der Preis. Und bei teuren Tomaten dulden Kunden wenig Exemplare, die optisch aus der Reihe fallen. Ökonomisch nutzt ihm die Kooperation mit dem Verein Foodsharing aber auch: Neue Kunden werden auf sein Angebot aufmerksam. Und wer schon ein mal da ist, um Aussortiertes mitzunehmen, nutzt die Gelegenheit, sich mit weiteren Lebensmitteln einzudecken - gegen Bezahlung.

Schulte behält nur einen kleinen Teil der Lebensmittel. Der Rest landet bei Freunden und Bekannten. Andere Mitglieder des Vereins nutzen die Internetplattform "foodsharing.de" zum Teilen oder greifen auf sogenannte Fairteiler zurück - Schränke und Kühlschränke in der Stadt, die jeder bestücken und leeren darf. Während Foodsharing mit Läden kooperiert, gehen andere Menschen containern: Sie nehmen sich noch Essbares ungefragt aus dem Müll der Supermärkte.

Zu Hause versucht Schulte, keine Lebensmittel mehr wegzuschmeißen. Denn wer gegen die Verschwendung kämpfen will - 18 Millionen Tonnen jährlich laut einer WWF-Studie von 2015 - muss sich an die eigene Nase fassen: Vier von zehn Lebensmitteln werden in den eigenen vier Wänden entsorgt.

(NGZ)
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