Neuss Echte Freunde überwinden die Angst

Neuss · Laut und bunt geht es im Weihnachtsstück des Landestheater zu. Christian Quitschke hat David Woods "Lebkuchenmann" inszeniert.

 Fräulein Pfeffer (Hergard Engert), Herr Salz (Pablo Guaneme Pinilla), Herr von Kuckuck ( Peter Waros), Flitsch, die Maus (Johanna Freyja Iacono-Sembritzki), Der Lebkuchenmann (Richard Lingscheidt), und Der alte Teebeutel (Rainer Scharenberg) lernen, zusammenzuhalten.

Fräulein Pfeffer (Hergard Engert), Herr Salz (Pablo Guaneme Pinilla), Herr von Kuckuck ( Peter Waros), Flitsch, die Maus (Johanna Freyja Iacono-Sembritzki), Der Lebkuchenmann (Richard Lingscheidt), und Der alte Teebeutel (Rainer Scharenberg) lernen, zusammenzuhalten.

Foto: Björn Hickmann

Dass irgendwann tatsächlich die Disko-Kugel von der Decke schwebt, ist nur konsequent. Denn dort geht eine richtig ausgelassene Party ab. Der "Lebkuchenmann" von David Wood - obschon ein Weihnachtsklassiker - war nie als besinnliches Theaterstück angelegt, dafür sind die Charaktere schon in der Vorlage zu schräg. Aber die Inszenierung, die jetzt im Rheinischen Landestheater Premiere feierte, setzt noch einen drauf: Da wird gerockt und gehopst, gerangelt und geflucht, durchs Publikum geklettert und durch die Reihen gerannt. Wer heimelige Adventsunterhaltung erwartet, ist definitiv fehl am Platz. Wer Action, viele Gags, laute Musik und Slapstick mag, kommt auf seine Kosten.

Wie genau sich dieser "Lebkuchenmann" in das Motto der RLT-Saison "Mäßigung" einfügt, müssten Dramaturgin Alexandra Engelmann und Regisseur Christian Quitschke allerdings mal erklären. Denn gemäßigt ist an dieser Inszenierung so gar nichts. Nicht das knallbunte Bühnenbild im 1970er-Jahre-Stil, nicht die Gesangseinlagen mit Bodendampf und wildem Stilmix bis zum Hard-Rock - und die Kostüme schon mal überhaupt nicht. Die rote Fliege mit Hemd, die Herr von Kuckuck zur Krachledernen kombiniert, mag genau wie das sehr mondäne lange Schwarze von Fräulein Pfeffer noch als extravagant durchgehen. Der Lebkuchenmann und der alte Teebeutel sind schrill geraten. In seinem eng anliegenden Goldanzug mit glitzernder Blond-Perücke erinnert der Protagonist ein bisschen an Rocky aus der Rocky-Horror-Picture-Show. Und Herr Teebeutel ist ein Rokoko-Albtraum mit hochtoupierter Frisur und Ganzkörper-Tutu (Ausstattung: Stefanie Dellmann).

Der guten Stimmung tut das weder auf der Bühne noch im Publikum Abbruch. Das liegt auch an den vielen witzigen Kleinigkeiten, die das altbekannte Stück aufpeppen und besonders bei den jüngsten Theaterbesuchern gut ankommen. So verliert Herr von Kuckuck aus der gleichnamigen Uhr zu Beginn nicht einfach seine Stimme und kann die Uhrzeit nicht mehr korrekt rufen. Ein ganzer Bauernhof wird akustisch bemüht, um ihn muhen, meckern oder gackern zu lassen, bis er schlussendlich ganz verstummt. Sein Schicksal scheint besiegelt. Denn was nicht mehr funktioniert, schmeißen die Menschen in den Müll.

Diese von den Küchenbewohnern nur angstvoll "die Großen" genannten, kommen auch sonst nicht gut weg. Als aus dem Off eingespielte Stimmen plappern sie ziemlich belangloses Zeug und scheinen nicht so recht zu wissen, worauf es wirklich im Leben ankommt. Freundschaft zum Beispiel. Echte Freundschaft, für die man sogar die eigene Angst überwindet. Denn Herr Salz, Fräulein Pfeffer und der frisch gebackene Lebkuchenmann beschließen, Herrn von Kuckuck mit etwas Honig zu helfen - und der frisch gebackene Held wagt sich dafür sogar auf die lange Reise aufs zweite Regal, wo der griesgrämige Teebeutel sein Unwesen treibt.

Einmal eingeweiht entpuppt der sich aber als verkanntes Sensibelchen, das ein durchaus hilfsbereiter Zeitgenosse sein kann, wenn man seinen Rat braucht und auch sucht. Gemeinsam rettet man so nicht nur den Bewohner der Kuckucksuhr. Die Küchencrew vertreibt auch noch Flitsch, die Maus, die plötzlich auftaucht, einen solchen Mordshunger hat, dass sie sogar im Zuschauerraum nach Essbarem fahndet (und von einigen Kindern ein Bonbon zugesteckt bekommt), und den Lebkuchenmann zum Vergnügen der kleinen Gäste quer durch das Theater jagt, weil sie ihn fressen möchte.

Mit einem echten Happy-End kann der "Lebkuchenmann" nicht dienen, denn am nächsten Tag soll das Gebäck verzehrt werden, solange es noch knusprig ist. Aber diese letzte Information geht in einer wilden Disko-Nummer als Schlussbild der Inszenierung fast unter, so dass für ein bisschen Trauer um das Schicksal des Helden kein Raum bleibt.

(PeS-)
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