Neuss Ein Buch über den "Brexit aus Versehen"

Neuss · Der in Neuss lebende Wirtschaftsprofessor Paul J. J. Welfens hat ein Buch über den Brexit vorgelegt. Dabei spürt er den Ursachen für den Erfolg des "Leave"-Lagers nach und zeigt Konsequenzen auf. In der Kritik: die Cameron-Regierung.

 Der Brexit ist das zentrale Thema des neuen Buches, das der in Neuss lebende Wirtschaftsprofessor Paul J. J. Welfens jetzt vorgelegt hat.

Der Brexit ist das zentrale Thema des neuen Buches, das der in Neuss lebende Wirtschaftsprofessor Paul J. J. Welfens jetzt vorgelegt hat.

Foto: Pixabay

Der in Neuss lebende Wirtschaftsprofessor Paul J. J. Welfens hat ein neues Buch veröffentlicht. Darin beschäftigt sich der 59-Jährige, der an der Bergischen Universität Wuppertal einen Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre innehat, mit dem Brexit. Welfens kommt zu einem klaren Ergebnis: Der ehemalige englische Premierminister David Cameron und seine Kollegen im proeuropäischen Remain-Lager haben es versäumt, dem britischen Volk die Bedeutung der EU-Mitgliedschaft klarer aufzuzeigen - vor allem mit Blick auf die Wirtschaft. "Brexit aus Versehen" lautet der Titel des jetzt erschienen Buches, das eine Analyse des von Welfens als "Fehlkalkulation" Camerons bezeichneten Votums bietet. Schlecht aufgeklärt sei das "No" zu Europa im Endeffekt auch ein Sieg des Postfaktischen über die rationale Debatte in Großbritannien gewesen.

Welfens warnte bereits im März vor einem Brexit. Ein zentraler Punkt sei das weit verbreitete Misstrauen in die politischen Eliten in London und Brüssel. Die Distanz zwischen der Wählerschaft und den Eliten sei immens. Geringes Wachstum und die Angst vieler Einwohner vor Zuwanderung spielten zwar zusätzlich eine Rolle, aber was Welfens besonders herausarbeitet ist, inwieweit die Briten über die Konsequenzen eines EU-Austritts schlicht schlecht informiert waren. Ein Beispiel: Die am 18. April vom britischen Finanzministerium veröffentlichte Analyse zu den langfristigen Vorteilen der EU-Mitgliedschaft zeigte, dass ein britischer Austritt zehn Prozent Einkommensverlust mit sich bringe. Diese zuvor schon regierungsintern bekannte Zahl sei jedoch in der 16-seitigen Info-Broschüre, die die Cameron-Regierung vom 9. bis 11. April an alle Haushalte in England verschickte, nicht zu finden gewesen. Welfens spricht von einem "historischen Politikversagen". Mehr noch: "Das Ganze mutet so sonderbar an, dass Mrs Marple es wohl nicht erstaunlich fände aufzudecken, dass EU-Gegner in der britischen Regierung für die Fehlinformationen zum Referendum verantwortlichen zeichnen."

 Paul J. J. Welfens lehrt an der Uni Wuppertal.

Paul J. J. Welfens lehrt an der Uni Wuppertal.

Foto: woi

Anstatt eindeutiger ökonomischer Rationalität hätten die emotionalen und "kontrafaktischen" Argumente von UKIP und dem Leave-Lager den Sieg davongetragen - was Welfens als "historischen Tiefpunkt" der britischen Demokratie bewertet. Der steigende Wähleranteil rechtspopulistischer Parteien löse ähnliche Probleme für die EU aus. Mit den gleichen Strategien, die UKIP in der EU-Referendum-Debatte Erfolg brachten, könnten ebenso euroskeptische Parteien wie die AfD oder der Front NationalStimmengewinne verzeichnen.

Spannend wird, wie sich die Architektur der EU durch den Brexit verändert. Welfens betont: "Eine föderale EU, gerade nach dem britischen Brexit, ist denkbar." Das schließe eine eigenständige EU-Einkommensteuer, eine begrenzte EU-Arbeitslosenversicherung und insgesamt eine soziale EU-Marktwirtschaft ein. Was die Fehl-Information der Bevölkerung in vielen Punkten angeht, sei die Wissenschaft gefordert, Qualitätsstandards für Internet und Medien mitzuentwickeln, Fakten zu analysieren und zu erklären. Die Cameron-Regierung jedenfalls habe mit einer "unglaublich schludrigen Info-Politik" zum Brexit beigetragen.

(NGZ)
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