Neuss Erst stirbt die Pflanze, dann das Tier

Neuss · Heute ist Tag des Artenschutzes. Umweltexperten erklären, was in und um Neuss nicht mehr wächst - und was noch zu retten wäre.

Neuss: Erst stirbt die Pflanze, dann das Tier
Foto: Stadt Neuss Amt für Umwelt und Stadtgrün

Nur noch selten erblicken Neusser Naturliebhaber die gelben Blüten des Zottigen Klappertopfs. "Allerdings kommt dieser Lippenblütler mit zottig behaarten Tragblättern anderswo in Nordrhein-Westfalen mittlerweile noch weniger vor", erklärt Biologe Michael Stevens, Leiter der Biologischen Station des Rhein-Kreises in Dormagen-Knechtsteden. Der Klappertopf wachse auf nährstoffarmen Grünflächen, die "idealerweise zweimal pro Saison, zum ersten Mal nicht vor Mitte Juni, gemäht werden", sagt Stevens. Jedoch finde die erste Mahd meist schon im Mai statt, beklagt Stevens, wenn die Samen des Klappertopfs und die anderer Wiesenblumen noch nicht reif seien.

Das bedeutet: Die Wiesen in und um Neuss gleichen nur noch an wenigen Stellen einem bunt getupften weil artenreichen Blütenteppich. "Einige Pflanzen sind sogar ganz ausgestorben", bedauert Stevens. Das Sumpf-Glanzkraut etwa, eine von vielen Orchideenarten, die früher auf sumpfigen Wiesen im Knechtstedener Wald wuchsen, ist heute ebenso wenig nachzuweisen wie der Sumpf-Dreizack. Der gedieh in Wassergräben und Flachmooren, unter anderem in Rosellen.

"Viele Pflanzen sind ausgestorben, als man in den 1950er Jahren für den Braunkohletagebau den Grundwasserspiegel senkte", sagt Stevens. Durch künstliche Wassereinspeisungen kann am Knechtstedener Hauptgraben das Gefärbte Laichkraut, das in seinem Bestand bedroht ist, wieder keimen. "Auch Grasfrösche und Ringelnattern sind dadurch wieder häufiger hier zu finden", sagt Stevens.

Seit 1987 führt die Stadt Neuss ein Biotopkataster, in dem bislang etwa 150 Biotope mit exakt 1175 Wildpflanzenarten kartiert wurden. Rund 100 Pflanzen davon sind inzwischen auf der "Roten Liste" der vom Aussterben bedrohten Arten zu finden. "Um seltene Arten zu retten, wurde der Uedesheimer Rheinbogen als Naturschutz- und FFH-Gebiet - das steht für Flora-Fauna-Habitat - ausgewiesen", erklärt Susanne Wiertz-Kirchberg, Biologin beim Amt für Umwelt und Stadtgrün. Auf Feuchtgrünland und Glatthaferwiesen trifft man dort den Zottigen Klappertopf, den Großen Wiesenknopf und die Frühblühende Wiesenraute. Dieses unscheinbare bis 80 Zentimeter große Hahnenfußgewächs, das sich durch Windbestäubung vermehrt, hat sich in Nordrhein-Westfalen rar gemacht, sagt sie.

"Städtische Flächen werden zu stark genutzt, etwa durch bauliche Nutzungen, als dass sich dort eine artenreiche Flora ansiedeln kann", sagt Ingeborg Arndt, Vorsitzende Neusser Ortsgruppe des BUND. Zudem seien Flussauen, etwa am Norfbach, begradigt worden und Feldblumen wie Klatschmohn, Kornblume oder Kamille seien durch Düngung und häufige Mahd verdrängt worden. "Naturbelassene Brachflächen existieren kaum mehr", bedauert Arndt.

Meist, erklärt Wiertz-Kirchberg, gebe es aber nicht einen, sondern viele Gründe, warum eine oder mehrere Pflanzenarten zurückgedrängt werden - und oft sterben im Zuge dessen auch Tiere aus, die an die Vegetation gebunden sind. "Wächst an einem Ort der Wiesenknopf nicht mehr, stirbt dort auch der Schmetterling aus, dessen Raupen sich ausschließlich von deren Blüten ernähren." Damit auf den Grünflächen die Lebensgrundlage von gefährdeten Pflanzenarten wiederhergestellt wird, unterstützt der Rhein-Kreis Landwirte, die am Kulturlandwirtschaftsprogramm teilnehmen. Darin verpflichten sie sich unter anderem, nicht vor dem 15. Juni zu mähen. "So können die Kräuter Samen aussetzen und haben eine Chance sich zu vermehren", erklärt Stevens, der einen Tipp für Hobby-Gärtner hat: mit dem ersten Rasenschnitt warten. Dann können Wiesenschaumkraut und andere heimische Wildblumen blühen und sich aussamen.

(NGZ)
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