Neuss Essstörungen erkennen und angehen

Neuss · Beratungsstellen aus dem Rhein-Kreis wollen mehr Aufmerksamkeit für Heranwachsende mit Magersucht oder Übergewicht wecken. Morgen beginnt die erste Fachtagung mit 50 Teilnehmern zum Thema Essstörungen.

Die Zahlen sind erschreckend: Bei jedem dritten Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren gibt es Hinweise auf eine Essstörung, bei Jungen sind 13,5 Prozent auffällig. Das sind Ergebnisse der Kinder- und Jugendgesundheitsstudie des Robert-Koch-Instituts von 2013. Menschen mit Essstörungen zu helfen, ist Ziel des Fachkreises Essstörungen, dem vier Beratungsstellen im Rhein-Kreis Neuss angeschlossen sind. Erstmals veranstalten sie gemeinsam eine Fachtagung unter dem Motto "Der Kampf im Kopf. Ambivalenzen im Umgang mit Essstörungen", um Lehrer, Schulsozialarbeiter, Mitarbeiter der Jugend- und Gesundheitsämter, Ärzte, Ernährungsberater und Therapeuten besser zu vernetzen und um Aufmerksamkeit zu wecken, wenn bei Kindern und Jugendlichen der Verdacht auf Magersucht, Bulimie oder Adipositas besteht.

"Für Lehrer oder andere Kontaktpersonen ist oftmals das größte Problem, Zugang zu einem Kind zu finden, bei dem es Hinweise auf eine Essstörung gibt", sagt Bettina Wietzker, Diplom-Psychologin der Jugendberatungsstelle Neuss des Diakonischen Werks. Daher wolle die Fachtagung dazu beitragen, Ängste abzubauen beim Ansprechen dieser Thematik und Wege aufzuzeigen, wie sich eine Beziehung zu dem betroffenen Kind aufbauen lasse, erklärt Andrea Groß-Reuter, Diplom-Sozialarbeiterin in der Fachambulanz für Suchtkranke der Neusser Caritas.

"Viele denken, eine Essstörung ist nicht so bedeutsam, die stört ja nicht", so Groß-Reuter. Doch dies sei ein Irrtum: "Magersucht und Bulimie sind schleichende Prozesse. Irgendwann kann es sogar um Leben oder Tod gehen", erklärt Wietzker. Dass Essstörungen immer öfter festgestellt werden, sei auf gesellschaftliche Entwicklungen der vergangenen Jahre zurückzuführen, sagt Angelika Haukenfrers. Sie arbeitet als Diplom-Sozialpädagogin bei der Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern Kaarst-Korschenbroich und ist ebenso wie Janne Gronen von der Beratungsstelle für Frauen eine der vier Initiatorinnen der Fachtagung.

Bettina Wietzker zählt einige der Faktoren auf, die den Druck auf Kinder immens erhöhen: "Es gibt viele Eltern, die sich trennen und wieder neue Beziehungen eingehen; Großeltern, die fehlen; Schultage, die immer länger werden; Freizeit, die knapper wird, und zudem hohe Leistungserwartungen." Magersucht könne für Jugendliche als eine Notlösung erscheinen, um diesem Druck standzuhalten. Außerdem hätten viele Familien den Anspruch, dass alles perfekt zu laufen habe. Dazu zähle auch das Aussehen. "Je schlanker, desto erfolgreicher - so ist das gesellschaftliche Ideal", sagt Groß-Reuter.

Daher sei es wichtig, erste Anzeichen von Bulimie und Magersucht frühzeitig zu erkennen. Ursache bei vielen Mädchen - und zunehmend auch Jungen - sei ein kaum ausgeprägtes Selbstwertgefühl. "Das können wir stärken helfen, dafür gibt es etliche Angebote im Rhein-Kreis-Neuss", sagt Wietzker.

Rund 50 Teilnehmer werden bei der ersten Fachtagung auch von derartigen Angeboten erfahren. Denn nach Vorträgen eines Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie einer Psychologin werden in vier Workshops unterschiedlichste Aspekte von Essstörungen erarbeitet.

(NGZ)
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