Neusser Geschichtsschreibung erwähnt Tile Kolup am Rande Flammenthron

Neusser Geschichtsschreibung erwähnt Tile Kolup am Rande · Die Neusser Geschichtsschreibung erwähnt Tile Kolup, den "Kaiser von Neuss", eher am Rande. In Wetzlar, wo er grausam endete, will man dem Hochstapler dagegen jetzt ein Denkmal errichten. Wenn er als Mönch auf dem Markt unterwegs ist, kommt Helmut Wessels stets die tragische Figur Tile Kolup in den Sinn. Dann erinnert der Stadtführer dort, wo sonst der Schützenkönig steht und die Parade abnimmt, die Teilnehmer seiner Führungen an den Mann, der einst "Kaiser von Neuss" war.

Einen Bettler, der im Jahr 1284 über Monate hin als Kaiser Friedrich II. (Der echte war 1250 in Italien gestorben) in der Quirinusstadt Hof hielt. Andere Punkte im Stadtgebiet gibt es nicht, wo seiner gedacht werden könnte. Das ist auch in Wetzlar so, könnte sich dort aber bald ändern. Denn in der mittelhessischen Stadt, wohin Kolup von Neuss aus zog, gibt es viele, die sich dafür stark machen, diesem Mann ein Denkmal zu setzen. Einen Flammenthron wollen sie im Skulpturenpark der Stadt aufstellen und damit an Kolups Tod erinnern, den er - wohl hochbetagt - am 7. Juli 1285 vor den Mauern Wetzlars auf dem Scheiterhaufen fand.

Diese Idee werde gerade politisch beraten, berichtet Peter Diegel-Kaufmann, Sozialarbeiter der Wetzlarer Arbeitsloseninitiative, kurz: Wali. Diese Einrichtung entdeckte die Figur des Tile Kolup, der wohl in Wahrheit ein friesischer Bauernsohn namens Dietrich Holzschuh war, vor zwei Jahren mehr zufällig für sich - und biss sich fest. Die Arbeitslosen identifizierten in dem Mann einen "von ganz unten" und arbeiteten an seinem Werdegang entlang Fragen wie die von Macht und Ohnmacht ab.

"Eigentlich", so Diegel-Kaufmann, "ist Kolup missbraucht worden von den wirklich Mächtigen." Hinweise darauf, dass Kolup nicht nur ein erfolgreicher Betrüger war - immerhin gehört er zu den ersten Hochstaplern, die sogar Eingang in die Geschichtsschreibung fanden - finden sich an vielen Stellen der Literatur. Opfer seiner Zeit, wie Gerhard Kallen zum Beispiel im Neusser Jahrbuch von 1968 urteilte. "Ich sehe ihn als Opfer jenes unglücklichen Wahns, der das 13. Jahrhundert beherrschte", schrieb er und erinnerte an jene dunkle weil kaiserlose Zeit, als Gerüchte, der Staufer Friedrich sei nicht tot, sondern werde wiederkommen und die staatliche Ordnung wieder aufrichten, gierig aufgenommen worden.

In Wetzlar, so arbeitete die Wali in zwei Jahren heraus, war die Opferrolle handfesterer Natur. "Kolup wurde im Machtspiel zwischen mittelalterlichen Fürsten und Bürgertum zum willkommenen Joker", erklärt Diegel-Kaufmann mit Hinweis auf den Steuerstreit, der viele Städte Mittelhessens in eine Koalition gegen den gewählten König Rudolf von Habsburg zwang. Der Bettler, selbst wohl von seiner Kaiser-Rolle überzeugt, wurde zum Faustpfand. Als der Streit beigelegt war, war Kolup reif für die Hinrichtung. Und lag nicht auch Kölns Fürstbischof Siegfried von Westerburg mit dem König über kreuz, der die Stadt Köln seines Beistandes gegen den Bischof versicherte und diesen selbst zur Herausgabe des alten Reichsbesitzes Kaiserswerth gezwungen hatte?

Könnte dort die Antwort auf die Frage liegen, warum der Bischof Kolup über Monate in Neuss unbehelligt ließ und erst seine Herausgabe forderte, nachdem er sich im April 1285 in Nürnberg mit dem König "beraten" hatte? Für die Gruppe um Diegel-Kaufmann jedenfalls stand fest: "Für Neuss und Wetzlar war es billiger, Kolup als Kaiser anzuerkennen und ihm einen Hofstaat zu finanzieren, als dem König Steuern zu zahlen."

Aus all dem hat Wali unter anderem ein Theaterstück gemacht, in dem Kolups kurzer Weg vom Bettelstab zum Reichszepter nachgespielt wird. Ein Stück allerdings, in dem Kolup - in enger Anlehnung an Brechts Drei-Groschen-Oper - am Ende begnadigt wird. Ein Stück zudem, dass eine Parallele zwischen Kolups Lage und den Arbeitslosen von heute konstruiert. Wegen seiner vornehmen Art auf eine ausgeschriebene Kaiser-Stelle in Wetzlar aufmerksam gemacht, wird er auf dem Arbeitsamt in eine Situation gebracht, in der er nicht Nein sagen kann: "Die hätten mir sonst die Stütze gestrichen." Christoph Kleinau

(NGZ)
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