Neuss Fotografie und Kunst im Dialog

Neuss · Zwischen "Wunsch und Wirklichkeit" changieren die Porträts einer neuen Ausstellung im Sels-Museum.

 Uta Husmeier-Schirlitz probiert den Selfie-Point aus.

Uta Husmeier-Schirlitz probiert den Selfie-Point aus.

Foto: Helga Bittner

Selfie - das ist nur als Wort eine neue Erfindung. Eigentlich gibt es das schon seit Hunderten von Jahren. Selbstbildnis hieß es damals. Gemalt, gezeichnet oder in Holz geschnitzt, in Ton oder Bronze geformt, aus eigenem Antrieb gemacht oder im Auftrag produziert, selten allerdings als Dutzendware und schon gar nicht unendlich zu vervielfältigen. Wer sich selbst porträtierte, brauchte einen Spiegel, wer porträtiert werden wollte, musste lange still sitzen können. So oder so lag es im Vermögen des Künstlers, Schönheitsfehler auszugleichen, den Gesichtsausdruck etwas strenger, die Mimik etwas freundlicher zu gestalten. Bis die Fotografie kam.

Bei aller Retusche, die schon früh möglich wurde, schuf sie vor allem in der Zeit der Jahrhundertwende ein genaueres Abbild der Wirklichkeit, war zeitsparender und billiger zu haben. Kein Wunder also, dass auch bildende Künstler mehr und mehr auf Fotografien zurückgriffen, wenn sie Porträts schaffen wollten. Selbst jene Künstler wie der Maler Ferdinand Khnopff, der mit Fotoapparaten nichts zu tun haben wollte, aber sie heimlich eingesetzt hat - wie Funde in seinem Nachlass belegen.

"Das haben wohl viele Künstler des 19. und 20. Jahrhundert so gemacht", erzählt Romina Friedemann lächelnd. Die Kunstwissenschaftlerin und derzeit Kustodin am Clemens-Sels-Museum liefert dafür einen ebenso lehrreichen wie ästhetisch eindrucksvollen Beweis mit der Ausstellung "Wunsch und Wirklichkeit - Der Einfluss der Fotografie auf das Porträt". Sie hat den Porträt-Bestand des Museums durchforstet, die Bildquellen dazu recherchiert und ist dabei sehr häufig auf Fotovorlagen gestoßen, die nun zusammen mit dem entsprechenden Werk des Künstlers in der Schau (und in dem hervorragend zusammengestellten Katalog) gezeigt werden.

56 Namen zählt die Liste der Künstler auf, darunter Paul Cézanne, Henri Toulouse-Lautrec, Marc Chagall, Auguste Renoir, Käthe Kollwitz oder Max Liebermann. Rund 100 Arbeiten aller Genres, von Zeichnung über Malerei bis zur Bildhauerei und Buchkunst, hat Friedemann gefunden, denen sie eine Fotografie zuordnen konnte: Jedes Kunstwerk tritt sozusagen im Doppel auf und macht so deutlich, wie groß der Einfluss der Fotografie auf die bildende Kunst war.

Franz von Stuck zum Beispiel hat das "Bildnis der Tochter Mary" eins zu eins von einem Foto auf die Leinwand übertragen. Ein bisschen hübscher hat er sie gemacht, weicher und das Décolleté etwas kleiner. Käthe Kollwitz schaut nicht nur auf ihrem Selbstbildnis betrübt, sondern hat sich so auch auf einem Foto inszeniert. Ebenso gibt es unterschiedliche künstlerische Übersetzungen eines Fotos: etwa von Max Liebermann in einem Selbstbildnis und in einer Lithographie von Conrad Felixmüller.

Überhaupt, so sagt es Romina Friedemann, "liegen Betrug und Wahrheit immer nah beieinander". Sehr sinnvoll hat sie die Ausstellung in fünf Kategorien unterteilt: Musen und Modelle, Prominente Köpfe, das Porträt als Rollenbild, Künstler porträtieren Künstler und Selbstporträts.

Passt alles auch ins Heute, dann aber mit Hashtags: Inspiration, VIP, Transformation, Artist und Selfie. Letzteres bietet sich übrigens auf dem Sessel im Stil der "Werbe-Ikone" der Schau ("Gabrielle Valloton im gelben Kleid" von Felix Valloton) an. Das kann dann über Instagram hochgeladen und Teil der Ausstellung werden.

Gut zehn Jahre nach der Ausstellung "Menschenbilder" lässt diese Schau wieder einmal erahnen, wie groß die Vielfalt, wie kostbar der Kunstschatz des Neusser Hauses ist. Und noch mehr macht die Ausstellung deutlich - das aber schmerzhaft: Die vom Rat der Stadt abgelehnte Sammlung mit Jugendstil-Kunst hätte so wunderbar zum Haus gepasst. Und es braucht dringend mehr Platz für die Wechselausstellungen. Räumlich ist das Museum an der Grenze, baulich ist die schon überschritten, wenn der morgendliche Besuch einer Ausstellung frösteln lässt, weil die Heizungsanlage sich nicht mehr museumskonform regulieren lässt.

Info Am Obertor, Eröffnung am am kommenden Sonntag (15.) um 11.30 Uhr

(hbm)
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