Neuss Für Roman in die Häfen der "Medusa" gereist

Neuss · Franzobel liest morgen beim Literarischen Sommer. Seinem Roman "Das Floß der Medusa" liegt eine wahre Geschichte zugrunde.

 Franzobel, geboren 1967 in Vöcklabruck, ist einer der populärsten österreichischen Schriftsteller, der zugleich auch sehr polarisiert.

Franzobel, geboren 1967 in Vöcklabruck, ist einer der populärsten österreichischen Schriftsteller, der zugleich auch sehr polarisiert.

Foto: Dirk Skiba

Wenn der österreichische Schriftsteller Franzobel morgen in der Stadtbibliothek liest, wird sein Roman die wohl ungeheuerlichste Geschichte dieses "Literarischen Sommers" erzählen. Dazu noch die wahrhafteste. Denn das "Floß der Medusa" berichtet von einer realen Schiffskatastrophe, die sich im Jahr 1806 vor der westafrikanischen Küste ereignet hat. In deren Folge trieb ein Floß mit 147 Menschen und spärlichsten Nahrungsmitteln zwei Wochen auf offener See. Am Ende wurden 15 Überlebende gerettet. Ein bildmächtiges Zeugnis dieses fatalen Ereignisses hängt im Pariser Louvre. Auf sieben mal fünf Metern hat Théodore Géricault jenes Floß der Verzweiflung für die Nachwelt gemalt. Das Bild illustriert auch den Umschlag des 600-Seiten-Romans.

Vor einigen Jahren war Franzobel, der eigentlich Franz Stefan Griebl heißt, eher zufällig in Paris. "Ich bin zu dem Bild richtig hingezogen worden und war tief beeindruckt", erzählt der 50-Jährige. An dem Roman über die Katastrophe der "Medusa" hat er dann drei volle Jahre gearbeitet. "Ich wollte, dass mein Buch im Sommer 2016, also genau 200 Jahre nach dem Unglück erscheint. Der Verlag hat dann aber entschieden, es erst ein halbes Jahr später zu bringen."

So hatte er Zeit, sowohl nach Rochefort-sur-Mer als auch in den Senegal zu reisen. In der kleinen französischen Hafenstadt war die "Medusa" zusammen mit einigen Begleitschiffen nach Afrika aufgebrochen. Dort blieb der Autor nur zwei Tage, volle zwei Wochen hingegen im senegalesischen St. Louis. "Beide Reisen waren für den Roman sehr fruchtbar", erinnert sich Franzobel. Im Senegal ist er mit einer Piroge zu der Sandbank gefahren, auf der die "Medusa" damals gestrandet ist. Der Österreicher ist kein Segler, aber während der Arbeit an seinem Roman war er viel unterwegs, auch per Schiff.

Dann kommt im Interview auch das Ungeheuerliche zur Sprache. Auf dem Floß wurden alle Regeln der Humanität ausgehebelt, denn es brach massiver Kannibalismus aus. "Wo es kein Brot gibt, gibt es kein Gesetz mehr", heißt es auf dem Umschlag, wie mit dürren Fingern in das Gemälde gekratzt. Als der Hunger übermächtig wurde, zerstückelten die Kräftigen und Starken die Körper ihrer toten Leidensgenossen und aßen sie auf.

Zu Beginn des Romans meint der Erzähler, die Geschichte sei nichts "für frankophile, Rotwein trinkende, Käse degustierende Modefuzzis". Ob sich eine derartige Katastrophe heutzutage wiederholen könnte? "Na klar. Da sind doch die Flüchtlinge im Mittelmeer. Dann gab es vor Jahrzehnten den Absturz des uruguayischen Rugbyteams in den Anden. Ich denke, so etwas kann immer wieder passieren", sagt Franzobel.

Die abscheulichen Vorgänge auf dem Floß der Medusa machten aus ihm dennoch keinen Vegetarier. "Ich esse auch Pferdefleisch, weil es hierzulande immer noch Pferdemetzger gibt. Im Übrigen probiere ich so ziemlich alles Exotische - schon aus literarischem Interesse. Man muss ja eine Ahnung haben, worüber man schreibt", meint der Österreicher.

Die derbe Sprache und der rustikale Stil des Romans sind ohne Prägung im oberösterreichischen "Hausruckviertel" kaum denkbar. Wer sonst kennt schon die Schimpfwörter "Kürbisplutzer" oder "Hirnzuzler"? "Ich habe versucht, die Austriazismen möglichst draußen zu lassen", sagt der Autor, "aber ganz ging es halt doch nicht. Lange habe ich bei der "Marille" überlegt. Für meine deutschen Freunde ist das immer ein Schnaps, aber es ist natürlich die dem Schnaps zugrundeliegende Frucht. Jetzt kommt im Roman auch die Marille vor, denn für einen Österreicher geht das Wort ,Aprikose' nun wirklich nicht."

(NGZ)
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