Neuss Geduldsprobe für einen Hasen

Neuss · Zwei Tiere, die unterschiedlicher nicht sein können, wagen ein Wettrennen: Im Kinderstück "Hase und Schildkröte", das im Rheinischen Landestheater Premiere feierte, geht es um Freundschaft und die Fähigkeit, den Moment zu genießen.

"Schildkröte klein . . . Hase groß. Schildkröte langsam . . . Hase schnell. Schildkröte schläft . . . und Hase will ein Wettrennen machen!": Unterschiedlicher könnten die beiden Tiere kaum sein und dennoch sind sie die besten Freunde. Ziemlich beste Freunde sogar, denn im Kinderstück "Hase und Schildkröte", das jetzt im Rheinischen Landestheater (RLT) Premiere feierte, lernt das ungleiche Paar voneinander - und das auf humorvolle und zugleich tiefsinnige Weise.

Brendan Murray hat auf Basis der Tierfabel von Äsop das Theaterstück für Kinder ab vier Jahren geschrieben. RLT-Regisseur Alexander Frank setzt in seiner Inszenierung auf die Eigenschaften der Tiere und die Fantasie der jungen Zuschauer. Mit Kostüm- und Bühnenbildnerin Teresa Katharina Binder hat er für Hase und Schildkröte eine eigene Welt geschaffen, in der alles möglich ist. Rot ist sie, die Welt, in der sich die beiden Freunde wohlfühlen. Vor allem für die Schildkröte ist die Farbe ein Muss. Verirrt sich ein gelbes Buch oder ein schwarzes Tuch in die über und über rote "Freundschafts-Höhle", wechseln - dank Zaubertricks - die Gegenstände schnell ihre Farbe.

Das junge Premieren-Publikum staunte nur kurz und ließ sich nicht vom Wesentlichen ablenken. Gebannt lauschten die Kinder knappen Dialogen ("Jetzt Wettrennen?", "Vielleicht ...", "Ja?", "Vielleicht...", "Ja!") und erlebten, wie die behäbige Schildkröte den quirligen Hasen auf eine echte Geduldsprobe stellte. Dabei störte auch nicht, dass Darsteller Johann Schiefer statt eines Panzers eine grüne Daunenjacke über den Kopf zog oder Sigrid Disperts lange Hasenohren fehlten. Die Freundschaft des ungleichen Paares war spannender und zog Kinder wie Erwachsene in ihren Bann.

Einen ganzen Winter lang wartet der Hase darauf, dass die Schildkröte endlich aus ihrem Winterschlaf erwacht. Anstatt tanzende Schneeflocken und schimmernde Sterne wahrzunehmen, kann der Hase nur an eins denken: das Wettrennen mit der Schildkröte. Im Frühjahr, wenn der Freund seine Beine aus dem Panzer steckt, ist die Wiedersehensfreude groß. Doch das Wettrennen rückt in weite Ferne: Die Schildkröte hält den Hasen nach allen Regeln der Kunst hin und lenkt ihn geschickt ab. Möhren säen, beim Wachsen zusehen, in Urlaub fahren, Abenteuer erleben - schnell geht ein ganzes Jahr ins Land.

Auf die Geduldsprobe gestellt, singt sich der Hase - zu Musik von Stefan Paul Goetsch - seine Sehnsüchte von der Seele: "Sommer? Ist das jetzt? Wann ist demnächst? Was ist zuletzt?" Im Herbst ist es endlich so weit: Die Schildkröte ist startklar für das große Wettrennen - und die beiden Freunde erleben eine riesige Überraschung. Zum ersten Mal genießt der Hase den Moment, lässt sich fallen und . . . schläft ein. "Wenn Du erwachst, wird die Welt ganz anders ein", singt die Schildkröte. Denn: "Alles ist möglich."

Durch lebendiges Spiel, starke Gestik und Mimik sowie Bühnenpräsenz gelingt den Darstellern, wie im Stück, das zunächst Unmögliche: eine Moral ohne Zeigefinger.

(jn)
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