Neuss Gesammelte Erinnerungen ans Kriegsende

Neuss · Die Zeitzeugenberichte aus der Kriegszeit sind der größte Bestand einer wachsenden Sammlung.

 Die promovierte Historikerin Annekatrin Schaller macht Bildungsarbeit für das Stadtarchiv und interviewte Neusser zu ihren Kriegserinnerungen.

Die promovierte Historikerin Annekatrin Schaller macht Bildungsarbeit für das Stadtarchiv und interviewte Neusser zu ihren Kriegserinnerungen.

Foto: woi

Ihre Kunstlehrerin hatte den Bombenangriff auf Dresden überlebt. Was das heißt, erschloss sich Annekatrin Schaller erst Jahre, nachdem sie im damaligen Karl-Marx-Stadt die Schule verlassen hatte. Aber die promovierte Historikerin weiß seit damals, wie nachdrücklich sich Geschichte vermittelt, wenn Zeitzeugen erzählen. Bei ihrer Bildungsarbeit für das Stadtarchiv Neuss erlebt sie die Faszination dieser Unmittelbarkeit bei den Neusser Schülern genauso. Vor allem in diesen Tagen, an dem sich Befreiung und Kriegsende zum 70. Mal jähren. Für Schaller ein Grund, solche Berichte zusammenzutragen.

Zeitzeugenberichte gerieten als eigenständige Quelle erst in den 1980er-Jahren in den Blick der Historiker. Für das Stadtarchiv reagierte damals Susanne Kauffels als erste auf diese Idee, als sie ab 1985 über 100 Zeitzeugen befragte. Auf dieser Basis entstand der drei Jahre später erscheinende Band "Die nationalsozialistische Zeit (1933-1945) in Neuss". 20 Jahre später waren es Schaller und Archivleiter Jens Metzdorf, die Augenzeugen aufriefen, ihre Erinnerungen an das Kriegsende in Neuss zu Protokoll zu geben.

Etwa 30 Interviews kamen zustande, wurden aufgezeichnet, niedergeschrieben und stehen seitdem für Studien zur Verfügung. Einige wenige wollten, dass ihre Berichte erst nach ihrem Tod öffentlich würden, wieder andere anonym bleiben. Das waren nicht die überzeugten Nazis, denn die kamen gar nicht erst, sagt Schaller. "Obwohl ich es als Historikerin spannend fände, auch deren Sicht kennenzulernen."

Die Augenzeugenberichte aus der NS- und Kriegszeit sind heute noch immer der größte Schwerpunkt in der wachsenden Sammlung dieser Überlieferung. Aber Schaller erkennt durchaus Unterschiede zwischen den Gruppen, die 1985 und 2005 befragt wurden. Bei ihr kamen vor allem die Neusser zu Wort, die als Jugendliche oder junge Erwachsene das Kriegsende erlebt hatten -und nicht mehr deren Eltern. Aus deren Erzählungen hörte sie heraus, dass neben Luftangriffen kaum etwas stärkeren Eindruck hinterlassen hat als der erste Kontakt mit amerikanischen Soldaten.

Die Möglichkeit, mit Menschen aus dieser Zeit sprechen zu können, wird es nicht mehr lange geben. Das führt Schaller nicht zuletzt auch den Jugendlichen der Geschwister-Scholl-Schule vor Augen, die sich gerade auf den Besuch eines Holocaust-Überlebenden vorbereiten.

Aber Zeitzeugen gibt es ja für jede Zeit. Und Schaller hat fest vor, als nächstes deren Erinnerung an Wiederaufbau, Wirtschaftswunder und auch das Eintreffen der ersten Gastarbeiter für immer festzuhalten.

(NGZ)
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