Neuss Im Konflikt zwischen Liebe und Ehre

Neuss · Mit der Einladung an das Atelier Théâtre Actuel und seiner Aufführung von Corneilles "Le Cid" weicht das Festival vom Shakespeare-Pfad ab. Aber es hat sich gelohnt.

 Chimène und Rodrigue glauben an ihre Liebe. Noch. Aber ihre Hochzeit steht in den Sternen.

Chimène und Rodrigue glauben an ihre Liebe. Noch. Aber ihre Hochzeit steht in den Sternen.

Foto: Christoph Krey

Es könnte so schön sein. Sie liebt ihn, er liebt sie, die Väter haben nichts dagegen - der Hochzeit steht eigentlich nichts im Wege. Romeo und Julia mit Happy End also? Nicht ganz. Romeo heißt Rodrigue, Julia Chimène und der Autor nicht William Shakespeare, sondern Pierre Corneille (1606-1684). Aber auch er macht es seinen Liebenden nicht leicht. "Le Cid" heißt sein Stück, das als flotte, französischsprachige Inszenierung von Jean-Philippe Daguerre dem Shakespeare-Festival eine besondere Note gibt.

Denn als Corneille seine Tragikomödie schrieb, war Shakespeare schon seit 20 Jahren tot. Ob dessen Tragödien "Romeo und Julia" und "Othello" den Franzosen bei der Erfindung der Geschichte beeinflusst haben? Aufgeführt in einem Reigen, zu dem auch diese Shakespeare-Dramen gehören, scheint die Frage nicht abwegig. Denn wie bei dem Liebespaar aus Verona geht es in "Le Cid" um Familienehre, und wie bei "Othello" sind es die Verdienste als Feldherr, die Rodrigues hohes Ansehen begründen. Sicher ist aber, dass Corneille sich von einer Geschichte aus dem 11. Jahrhundert über den spanischen Heerführer Rodrigo Díaz de Vivar, der "El Cid" genannt wurde, inspirieren ließ.

So oder so: Corneilles Stück in seiner paarweise gereimten Sprache passt zum Festival - vor allem, wenn es so konzentriert und emotional gespielt wird wie vom Atelier Théâtre Actuel aus Paris. Regisseur Jean-Philippe Daguerre verzichtet auf jede Kulisse, allein zwei Musiker, die Bratsche, Cajon, Gitarre, Akkordeon und Harmonika spielen, sind immer anwesend, und die Darsteller tragen Kostüme, die an den Prunk des 17. Jahrhunderts erinnern.

Die junge Adlige Chimène also liebt Don Rodrigue, und er liebt sie, aber leider sind sich die Väter nicht grün. Nach einem Streit ohrfeigt Chimènes Vater den von Rodrigue, der sich aber nicht wehren kann und wutentbrannt seinen Sohn beschwört, ihn zu rächen. Rodrigue gehorcht, tötet Chimènes Vater, was wiederum die Tochter antreibt, Rache an ihrem Verlobten zu nehmen. Obwohl sie ihn liebt. Sie fleht um dessen Tod beim König von Kastilien, der jedoch Rodrigue als Feldherrn braucht und erst mal in die Schlacht gegen die Mauren schickt. Als Sieger kehrt der junge Mann zurück, darf fortan "Le Cid" genannt werden. Aber Chimène will die Rache zur Widerherstellung der Familienehre, erreicht schließlich ein Duell zwischen Rodrigue und Don Sanche, der Chimène liebt und hofft, sie als Sieger heiraten zu können. Das geht ohne Toten aus, Rodrigue gewinnt, aber verschont Don Sanche - und am Ende kommt das richtige Paar dann doch zusammen.

Mutet das Sinnen, die Liebe zu opfern, um der Ehre zu genügen, heute auch merkwürdig an - der Konflikt an sich im Innern eines Menschen ist seit Jahrhunderten der gleiche. Das schält auch Daguerre sehr deutlich in seiner Inszenierung heraus, setzt den Fokus dabei auf das Trio Chimène, Rodrigue und die Infantin, die Rodrigue ebenfalls liebt, aber der Staatsraison gehorcht und keinen Mann unter ihrem Stand heiraten wird.

Dass diese Staatsraison nicht immer in besten Händen sein muss, zeigt sich in der Figur des Königs. Der lispelt, ist eitel und affig - eine herrliche Komödienfigur. Überhaupt gelingt es den Schauspielern, insbesondere dem "König", die Schwere der sich anbahnenden Tragik mit komischen Elementen zu brechen. Großer Beifall.

(hbm)
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