Neuss Immer mehr Menschen sind süchtig nach Sportwetten

Neuss · Weil Klagen gegen den Glücksspielstaatsvertrag Erfolg hatten, ist ein unregulierter Milliardenmarkt entstanden. Auch in Neuss wetten immer mehr Menschen auf Sportereignisse und werden süchtig danach. Die Stadt hat keine Handhabe.

Fakten zu Sportwetten
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Foto: AP

Mit zwei, drei Euro hat es angefangen - so viel setzte der 27-Jährige aus dem Rhein-Kreis, der anonym bleiben möchte, bei Spielen der Fußball-Bundesliga. "Das hat es spannender gemacht." Doch dabei blieb es nicht: Anstatt nur am Wochenende zu tippen, ging er bald fast jeden Tag ins Wettbüro - meist in der Mittagspause - und setzte auf alle möglichen Partien bis hin zu Zweiteligaspiele in Zypern. Gleichzeitig erhöhten sich die Einsätze von ein paar Euro bis auf mehrere Tausend. Mit fatalen Konsequenzen: Rund 60 000 Euro Schulden hat der junge Familienvater angehäuft, die er lange seiner Frau verheimlichte. "Das Wetten hat viele Jahre mein Leben bestimmt", erzählt er.

Solche Schicksale sind in Neuss schon lange kein Einzelfall mehr. "Wir bemerken, dass die Anzahl der Menschen, die von Sportwetten abhängig sind, deutlich steigt", sagt Verena Verhoeven von der Fachstelle für Glücksspielsucht in Neuss. Denn immer mehr Menschen würden Geld bei Sportereignissen setzen - und zwar im Internet, in Wettannahmestellen und an Automaten, sogenannten Wett-Terminals - und dann häufig die Kontrolle verlieren. "Der Markt hat sich etabliert", sagt Verhoeven. In Neuss gibt es acht Wettbüros, drei auf der Furth und fünf in der Innenstadt, sowie Wett-Terminals in Kneipen, Vereinsräumen und Imbissen. "Wo überall gewettet wird, wissen wir gar nicht", sagt die Leiterin der Fachstelle. Und auch die Stadt weiß das oft nicht.

Denn bei den Sportwetten handelt es sich um ein riesiges Geschäft mit einem Umsatz in Deutschland von rund sieben Milliarden Euro jährlich, das sich aber in einem rechtlichen Graubereich befindet und dadurch nicht kontrolliert wird, erzählt Jürgen Trümper vom Arbeitskreis gegen Spielsucht in Unna. Ursache dafür sind Rechtsstreitigkeiten. Laut dem Glückspielstaatsvertrag von 2012 soll es bundesweit nur 20 Konzessionen für Wettanbieter geben. Dagegen hatten aber Wettanbieter geklagt und Recht bekommen. "Momentan werden die Geschäfte der Wettanbieter geduldet, weil es keine Rechtssicherheit gibt", erklärt Trümper. Kommunen wie Neuss könnten deshalb gegen den expandierenden Sportwettenmarkt nichts ausrichten und müssten hinnehmen, dass neue Wettbüros aufmachen und Wett-Terminals überall aufgestellt werden können.

Dabei sind diese Angebote nicht harmlos. "Viele Menschen glauben, dass es sich bei Sportwetten nicht um ein Glücksspiel handelt und dass sie mit ihrem Wissen Geld verdienen können", sagt Verhoeven. Ein Trugschluss, denn auch beim Wetten gebe es eine hohe Ereignisfrequenz und das Versprechen auf hohe Gewinne. Und da auf alles Mögliche, wie die nächste gelbe Karte, gesetzt werden kann, habe es oft nichts mit Fachwissen zu tun.

Sorgen bereitet Verhoeven, dass Jugendliche wegen ihrer Sportbegeisterung besonders empfänglich sind. "Immer wieder hören wir von minderjährigen Spielern", sagt sie. Manche Wettbüros seien regelrecht Treffpunkt, wo Jugendliche gemeinsam Spiele schauen und dann auch wetten. Denn nach dem Ausweis frage niemand, beschreibt der 27-jährige Spieler seine Erfahrung. "Mit dem Jugendschutz ist es oft nicht weit her", erklärt auch Trümper, der viele Wettbüros kennt. Dabei sei dies ein Fall, wo die Stadt aktiv werden könne, wenn ihr auch sonst die Hände gebunden sind.

(NGZ)
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