Neuss "Immer mehr Schütze als Karnevalist"

Neuss · Keine Skandale, aber Anekdoten, keine Abrechnung mit dem kölschen Karneval, aber kritische Anmerkungen: Der Talk mit Ex-Räuberfrontmann Karl-Heinz Brand auf dem blauen NGZ-Sofa bot Unterhaltung und eine Welt-Uraufführung.

 Begehrtes Fotoobjekt: Karl-Heinz "Kalla", lange Frontmann der Band "De Räuber" war für sein Publikum immer" greifbar".

Begehrtes Fotoobjekt: Karl-Heinz "Kalla", lange Frontmann der Band "De Räuber" war für sein Publikum immer" greifbar".

Foto: A. Endermann

Zur Gitarre hat er seit Monaten nicht mehr gegriffen, seit seinem Abschied von der Kölsch-Kult-Band "De Räuber" im Sommer. Aber natürlich kann er's noch. Das bewies "Neu-Rentner" Karl-Heinz Brand (65) beim NGZ-Talk auf dem Blauen Sofa im Restaurant "Essenz" in den Räumen der Neusser Bürgergesellschaft. Da gab er nach dem gut einstündigen Gespräch fast ein kleines Privatkonzert, an dessen Ende eine Weltpremiere stand: eine musikalische Liebeserklärung an seine Heimatstadt Neuss mit "Isch ben und bliev ´ne Nüsser Jong".

 Brand im Gespräch mit Ludger Baten: "Reibung muss sein".

Brand im Gespräch mit Ludger Baten: "Reibung muss sein".

Foto: woi

Doch eigentlich hatte der Stimmungssänger an diesem Abend nicht zum Mikrofon gegriffen, um seine Hits anzustimmen. Vielmehr entlockte ihm NGZ-Chefreporter Ludger Baten neben unterhaltsamen Anekdoten aus den Anfängen der "Räuber" und Kritik an der Kommerzialisierung des Kölner Karnevals auch ein besonderes Geständnis: "Ich hatte ursprünglich nichts mit Karneval am Hut, ich war immer mehr Schützenfest-Mensch." Und er erklärte auch gleich, warum: "Die Kirmes hat ihre Traditionen behalten."

Ob es in jeder Band Gegenpole geben müsse, wollte Musikfan Ludger Baten wissen. Ja, Reibung müsse sein, sagte der langjährige Frontmann der "Räuber". Auf die Frage nach seinem Konterpart in der Formation kam es wie aus der Pistole geschossen: "Nobby Kampmann". Und schon erzählt Brand die herrlichsten Dönekes, etwa von einem drögen Dorfabend am Wörthersee, den unerwartet doch noch eine Band rettete. Deren Lied, "Steirermen san very good", coverten die "Räuber" mit deren Erlaubnis und texteten es zu "Kölsche Jonge bütze joot" um.

Ein Thema war natürlich Brands neuer Status als Ruheständler. Diese Entscheidung habe er nicht bereut, versicherte Brand. "Ich habe ja die Band verlassen - nicht die Band mich." Ihm gehe es gut dabei. "Eigentlich wollte ich schon nach Nobbys Tod vor zehn Jahren aufhören, weil ich wusste: So wie es war, würde es nie mehr sein. Aber ich wollte den Kurt (Gründungsmitglied und Keyboarder Kurt Feller, Anm. d. Red.) nicht hängen lassen." In der Folge hätten sie es wiederholt mit Musikern versucht, "die musikalisch gut waren, aber menschlich nicht zu uns passten". Und: Es musste jemand her, der in der Lage war, Karl-Heinz Brand als Frontmann zu ersetzen. Der scheint mit Torben Klein gefunden zu sein. "Er hat die richtige Einstellung, ist ein guter Musiker, sieht gut aus und hat ein Herz für den Karneval."

Ach, richtig. Da war ja noch etwas: Karneval. Mit der Kommerzialisierung des Kölner Karnevals geht Kalla Brand ebenso hart ins Gericht wie mit der "Verballermannisierung" dieses Brauchtums. Statt sogenannter Literaten, die das Sitzungsprogramm ihres Vereins ehrenamtlich organisierten, gebe es Agenturen, die zu mächtigen Kartellen herangewachsen seien, kritisiert er. Und viele junge Bands spielten nicht Karnevalslieder, sondern moderne Popmusik mit kölschen Texten. "Ich bin Rockfan, aber wenn ich Rockmusik hören will, muss ich keine rote Pappnase anziehen", stellt Brand klar, dessen Band sich dem wandelnden Geschmack notgedrungen anpasste: "Du kannst nicht nachts um halb eins auf die Bühne gehen, nachdem da eine Band abgerockt hat, und dann die ,Witwe Schmitz mit ihrem Spitz' bringen!," sagt er und gibt zu, auch deswegen die Lust verloren zu haben.

(NGZ)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort