Neuss In Neuss war Adenauer vor allem Opa

Neuss · Für das Verlobungsessen wurde alles aufgefahren, was den Krieg überstanden hatte. Der Tisch war mit feinem Kristall und Porzellan gedeckt; die Verwandten in großer Zahl herbeigeeilt.

 1966 war Konrad Adenauer bei einer Wahlkampfkundgebung auf dem Neusser Markt dabei.

1966 war Konrad Adenauer bei einer Wahlkampfkundgebung auf dem Neusser Markt dabei.

Foto: Stadtarchiv Neuss

Und mitten drin jemand, der mit vollen Händen in die Schmuckschatulle gegriffen hatte und den natürlich ebenfalls anwesenden Vater der zukünftigen Schwiegertochter zu der leise gezischten Frage veranlasste: "Wer ist denn dieser Christbaum da?" Der Vater — das ist Konrad Adenauer. Die zukünftige Schwiegertochter — das ist seine jüngste Tochter Elisabeth, von allen nur Libet genannt.

 Konrad Adenauer bei der Taufe von Enkelin Charlotte 1956.

Konrad Adenauer bei der Taufe von Enkelin Charlotte 1956.

Foto: Stadtarchiv

Und der junge Mann, der sie heiraten wollte — das ist Hermann Josef Werhahn. 1947 hatten der Neusser Unternehmersohn und die Politikertochter aus Köln sich kennengelernt, drei Jahre später waren sie verheiratet. Da war Konrad Adenauer gerade seit acht Monaten Bundeskanzler.

Das Verlobungsessen im Haus der Familie Werhahn an der Königstraße war gewissermaßen der erste offizielle Auftritt Adenauers in Neuss — wenn auch im privaten Kreis. Wie oft der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik danach noch nach Neuss kam, weiß seine Tochter jedoch nicht mehr zu sagen. Es war eben selbstverständlich, dass er zu Familienfeiern kam, die Taufen seiner fünf Enkelkinder miterlebte, und umgekehrt die Neusser jedes Jahr Weihnachten nach Rhöndorf fuhr, um dort gemeinsam mit allen anderen Verwandten das Fest zu feiern.

1937 hatten die Adenauers, Vater Konrad, Mutter "Gussie" (1948 gestorben) und die Kinder Paul (14), Lotte (12), Libet (9) und Georg (6) das neue Haus in Rhöndorf bezogen. Und als Libet es gut 13 Jahre später verließ, um sich in Neuss niederzulassen, wollte der Vater selbst sehen, wo seine Tochter gelandet war. An der Breite Straße hatte das junge Paar seine erste Wohnung bezogen: "Sie war sehr klein", erinnert sich Libet Werhahn-Adenauer heute. Das scheint für Konrad Adenauer, von dem die Tochter immer als "Vater" spricht, kein Thema gewesen zu sein. Ohnehin sind die Adenauer-Kinder bürgerlich, aber in bescheidenen Verhältnissen groß geworden. Stattdessen also: "Er kontrollierte mit dem Finger, ob auf den Bilderrahmen Staub liegt."

Wenn die heute 84-jährige Libet Werhahn-Adenauer von ihrem Vater erzählt, geht der Blick weit zurück, und oft lächelt sie dabei genauso verschmitzt aus den Augen, wie man das von ihrem Vater — selbst auf Fotos — kennt. Überhaupt scheint es zwischen ihm und der Tochter ausgeprägte Ähnlichkeiten in den Charakterzügen zu geben — was sich nicht zuletzt in diesem wunderbaren, mit viel rheinischem Humor gewürzten Pragmatismus widerspiegelt, mit dem die Tochter wie einst der Vater auf die Welt im Allgemeinen und die Menschen im Besonderen schaut.

Mit der Darstellung ihres Vaters in dem Dokumentardrama von Autor Werner Biermann kann sie gut leben. Ohnehin hat auch sie dafür vor der Kamera gestanden und Interviews gegeben. Gesehen hat sie den Film schon vor mehreren Wochen und war seltsam berührt davon, den Vater in den Spielszenen von Joachim Bißmeier verkörpert zu sehen. "Er macht das wirklich sehr gut", sagt sie, "aber ich war doch jedes Mal wieder froh, wenn die Wochenschau-Ausschnitte kamen und mir Vater wieder vertraut war."

Auch ihre Mutter Gussie, sagt sie, sei sehr gut getroffen worden. "Ihr fehlt es in der Darstellung zwar ein wenig an der Fröhlichkeit, die sie im Leben zeigte, aber sie wirkt sehr sympathisch und entspricht ihr im bescheidenen Wesen." Auch wenn Libet Werhahn-Adenauer akzeptiert, dass ein Fernsehfilm einen Menschen und Politiker wie ihren Vater nicht in Gänze erfassen kann — eine Sache fehlt ihr doch: sein Einsatz für Europa. "Ich hätte mich doch nie im Europa-Wahlkampf so engagiert, wenn mein Vater mich nicht so geimpft hätte", sagt die Neusserin, die sich einst politisch sehr engagiert hat.

Als Libet Adenauer in die Familie Werhahn einheiratete, war ihre Mutter gerade erst seit zwei Jahren tot. Für die junge Frau muss der Wegzug aus Rhöndorf ein Aufbruch in eine fremde Welt gewesen sein. Hier das Leben mit Eltern, die ihre Kinder zu Selbständigkeit anhielten. Mit einem Vater, der, wie es sein Schwiegersohn Hermann Josef Werhahn mal bewundernd formulierte, "seiner Zeit voraus, den Menschen sehr zugetan und jungen Ehen gegenüber so aufgeschlossen war wie wir heute". Und dort die Familie Werhahn mit einem strengen und dominanten Vater, der dem jungen Paar den Hochzeitstermin am liebsten diktiert hätte, aber bei seinem Pendant Konrad Adenauer gegen die Wand lief: "Das überlassen wir mal den jungen Leuten."

Dass Libet Werhahn auch als junge Mutter den Vater bei Staatsbesuchen begleitete, mal Tischdame von Charles de Gaulle war oder bei den Kennedys im Weißen Haus tafelte, und doch problemlos wieder in ihr Alltagsleben in Neuss schlüpften konnte, mag auch an dem unprätentiösen Vater gelegen haben. "Ich war ja auch höchstens zehn bis zwölf Tage weg", sagt sie abwehrend. Bei den insgesamt zwölf Reisen in den Jahren 1954 und 1955 konnte sie sich zudem immer der Unterstützung ihres Mannes sicher sein. Der hat diese Zeit mal mit folgenden Worten kommentiert. "Meine Frau hat bei jeder Reise enorm viel dazugewonnen, und so war jede auch für uns beide eine große Bereicherung."

Und die Kinder hatten auch etwas davon. Ihrem Sohn Stephan hatte sie einen indianischen Federschmuck aus Amerika mitgebracht, und als er diesem dem Opa in Rhöndorf stolz vorführte, ging der erst mal wortlos aus dem Zimmer. Und kam zurück — mit einem noch größeren Kopfschmuck, erzählt Libet Werhahn lachend. Wenn Konrad Adenauer nach Neuss kam, waren zwar immer Sicherheitsbeamte dabei, aber sie kamen in nur zwei Limousinen. Bei den Taufen der fünf Neusser Enkelkinder war er da, und bei der des ersten Werhahn-Sohnes Stephan sogar so pünktlich, dass er schon mit am Taufbecken stand, als der Schwiegervater seiner Tochter eintraf. "Plötzlich war da eine Unruhe in der Kirche", erzählt Libet Werhahn-Adenauer. Ihr Schwiegervater habe versucht, sich durch die Menge durchzukämpfen, "aber ein Sicherheitsbeamter trat ihm auf den Fuß, um ihn aufzuhalten". Was Peter Wilhelm Werhahn dann zu dem empörte Ruf veranlasst habe: "Aber ich bin doch der andere Großvater!"

Die Geburt des ältesten Kindes von Libet und Hermann Josef Werhahn, Tochter Monika, brachte es mit Blick auf den bekannten Opa und die neue Verbindung zwischen Neuss und Bonn sogar bis in den Fackelzug des Schützenfestes: "Da gab es einen Kinderwagen mit zwei Männern, die schoben — das war sehr nett." Zu Monikas Erstkommunion überraschte Adenauer die Familie mit einer Neuigkeit: "Vater kam zu spät, weil er noch eine wichtige Sitzung hatte, und erklärte uns dann, er wolle Bundespräsident werden", erzählt seine Tochter. Alle hätten ihm davon abgeraten. Und doch wird es wohl nicht nur das familiäre Urteil gewesen sein, das ihn am 5. Juni 1959 seine Kandidatur zurückziehen ließ.

Knapp zehn Jahre später starb Konrad Adenauer, und wenn Libet Werhahn-Adenauer eines bedauert, dann dieses: Dass er den Umzug der Familie aus der Innenstadt in das eigene Haus nicht mehr miterlebt hat: "Er hat immer gesagt: Kinder, ihr müsst an den Stadtrand ziehen." Sein eigenes Haus in Rhöndorf hat er geliebt, ist dort auch gestorben. Heute gehört es der Konrad-Adenauer-Stiftung, ist in Teilen noch eingerichtet wie zu des Bundeskanzlers Zeiten und immer wieder Anlaufstelle für den aktuellen Bundespräsidenten. Wenn Joachim Gauck jetzt kommt, "mache ich die Hausfrau", sagt die Neusserin ganz trocken.

Und im Haus hängt immer noch der Stammbaum der Adenauers, den die Tochter dem Vater zum 80. Geburtstag geschenkt hat. Eine Hinterglasmalerei ihrer guten Freundin, der Neusser Kunstlehrerin am Nelly-Sachs-Gymnasium, Irmgard Hellmann. Sie und Irmgard Feldhaus (Gründerin des Clemens-Sels-Museums) sowie die Künstlerin Marga Groove seien seit ihren ersten Neusser Tagen "ein Herz und eine Seele" gewesen.

(NGZ/ac)
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