Neuss Jugendliche schreiben ihre Migrations-Biografie

Neuss · Das Buchprojekt der Interkulturellen Projekthelden ermöglicht Einblicke in das Denken von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Bestehende Sichtweisen sollen dadurch erweitert werden.

 Die Projektleiter Umut Ali Öksüz und Claudia Ehrentraut unterstützen Felicitas und Mirac beim Schreiben ihrer eigenen Geschichten (v.l.).

Die Projektleiter Umut Ali Öksüz und Claudia Ehrentraut unterstützen Felicitas und Mirac beim Schreiben ihrer eigenen Geschichten (v.l.).

Foto: woi

Langeweile und Vorurteile: Zwei Dinge gegen die die Interkulturellen Projekthelden etwas unternehmen wollen. Im Rahmen eines Buchprojektes haben Jugendliche mit Migrationshintergrund ihre persönlichen Geschichten aufgeschrieben und illustriert, damit Außenstehende sie besser verstehen und Vorurteile aus dem Weg geräumt werden können.

"Es heißt heute aber eher Migrationsbiografie als Migrationshintergrund", sagt Projektleiter Umut Ali Öksüz. Denn viele Kinder seien in Deutschland geboren und haben nie in einem anderen Land gelebt. Dennoch seien sie mit Vorurteilen sowohl in Deutschland als auch ihrem Heimatland konfrontiert: "Ein Junge hat mir gesagt, dass er in der Türkei als Deutscher und in Deutschland als Türke bezeichnet wird. Da fragt er sich natürlich, was das soll", sagt Öksüz.

Das Interkulturelle Buchprojekt soll deshalb andere Perspektiven ermöglichen. Das sowohl bei Jugendlichen, als auch bei Fachkräften. "Viele Lehrer sagen: ,Aus dem Kontext kennt man das nicht anders.' Solche Sichtweisen wollen wir ändern", sagt Öksüz. Kinder und Jugendliche berichten in dem Buch über ihre Erfahrungen. So auch Felicitas Bulla. Die Eltern der 19-Jährigen stammen aus dem schlesischen Teil von Polen. Selber kann sie kein Polnisch sprechen, und das ist für andere schwer zu akzeptieren. Ihre Eltern mussten in der Schule ihren schlesischen Dialekt ablegen, da er als eine Art "Bauerndialekt" galt. Mit dem "richtigen" Polnisch konnten sie sich aber selber nicht identifizieren. "So haben sie uns Kindern gar kein Polnisch beigebracht", sagt Felicitas.

Insgesamt zwölf Geschichten dieser Art finden sich in dem Buch "Verschieden aber eins - Jugendliche erzählen über ihr Leben zwischen zwei Welten". Jede Erzählung gibt es in Deutsch, Englisch und der jeweiligen Muttersprache. "Die Illustrationen und Geschichten stammen dabei alle von den Jugendlichen selbst", sagt Projektleiterin Claudia Ehrentraut. Deshalb habe es auch so lange gedauert. So wurde beispielsweise der Coverentwurf immer wieder überarbeitet. "Er wurde schließlich gezeichnet, da auf Wunsch keine Personen fotografisch dargestellt werden sollten. Es zeigt Jugendliche verschiedener Nationalitäten", sagt Ehrentraut.

Auch die Definition der Muttersprache führte im Vorfeld des Buchprojektes zu einer regen Diskussion. "Die Jugendlichen können sich besser auf Deutsch artikulieren, was sie dann eher als ihre Muttersprache ansehen", sagt Öksüz. Die Festlegung auf eine Muttersprache sei demnach eher emotional belastet als von der Herkunft bestimmt, fügt Ehrentraut hinzu. Bei den Übersetzungen ihrer eigenen Geschichten in die vermeintliche Erstsprache brauchten die Jugendlichen deshalb Hilfe.

Mirac hingegen hatte anfangs starke Probleme mit seiner heutigen Muttersprache. "Meine Eltern haben immer nur Türkisch mit mir gesprochen", sagt der 14-Jährige. Seine Freunde haben ihn in der Schule dann häufig korrigiert, und das sei ihm sehr unangenehm gewesen. "Ich bin froh, dass es Menschen gibt, die einem helfen können."

Das Buch erscheint voraussichtlich noch im Februar und kostet zehn Euro. Der Erlös soll zur Finanzierung weiterer Projekte der Interkulturellen Projekthelden dienen.

(jms)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort